Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
Vom Netzwerk:
Mokkabraune Blechschachtel, Schriftzug Café-au-lait, Grundton Lichter Ocker, auf dem Medaillon ein Herr, der an Nietzsche erinnert ... Sie wissen standesgemäß zu bestellen. Mauritz, würdest du uns bitte die Schachtel mit den Braniff-Zigarillos holen
    – Unruhe: So schönes Wetter, sagte Mauritz, und nichts in Ordnung; Billards in Kneipen, Mauritz, der mit dem blauen Würfelchen die Spitze seines Queues kreidet, zustößt und immer wieder seinen Nachbarn oder seine Nachbarin auffordert: Erzählen Sie mir von sich – was regelmäßig Überraschung auslöste, sekundenlanges Anstarren, als wollten sie erforschen, ob er ein Problem habe, dann ein kurzes Besinnen, oft ein Fehlstoß aus Unkonzentriertheit und Irritation, und was mich immer wieder überraschte, war, wie bereitwillig die meisten Mauritz’ Ansinnen erfüllten und erzählten. Er wollte alles wissen, interessierte sich für alle Details ihrer Arbeit, und Wie istdas genau, wie funktioniert das, was müssen Sie da tun, waren Fragen, die immer wiederkehrten; einmal lachte ein Mann und sagte: So genau wie Sie haben mich noch nicht einmal meine Eltern über das ausgefragt, was ich tue. Ich sah, wie sie nach anfänglichem Zögern ihre Scheu überwanden und immer mehr von sich preisgaben, manche auch private Dinge, die sich Mauritz anhörte, ohne nachzufragen, hier ermunterte er nicht, hörte schweigend zu, sein Queue kreidend, über das Billard gebeugt und Kombinationen auslotend; manchmal spürte ich dann, wie mich ein Blick streifte und die Frau – es waren häufiger Frauen als Männer, die sich mit ihm auf ein Gespräch einließen – sich gern allein mit ihm unterhalten hätte; dies aber ließ er nicht zu, eine dieser Frauen sagte: Du mußt ein anstrengender Mensch sein, aber interessant; sie schüttelte den Kopf und lachte, zahlte ihre Rechnung, ging, sah sich vom Ausgang noch einmal zu ihm um, einen Moment zögernd, ein wenig die Augen zusammenkneifend, dann schüttelte sie wieder den Kopf, lächelte und ging hinaus. Fast alle diese Menschen erschienen mir nach den Gesprächen mit Mauritz gelöster, um etwas leichter, was ihnen vielleicht Sorgen bereitet, sie bedrückt hatte
    – Bild im Bild, der alte Kaltmeister warf mir einen verschmitzten Blick zu. Was mag er sich wohl dabei gedacht haben, unser Maler? Ich erinnerte mich an Museumsbesuche mit den Eltern, Mutter immer mit dem Katalog in der Hand, Louvre, Centre Georges Pompidou, ein Urlaub in Wien fällt mir ein und ein Besuch im Kunsthistorischen Museum, Mutter ging nicht zu den Allerweltsbildern, ich sollte besser sagen: zu den von aller Welt besuchten Bildern, nicht zur Malkunst von Vermeer, nicht zum Selbstporträt Rembrandts, sondern zu einem fast ganz und gar grünen Bild, einem Waldstück von Coninxloo, zeigte mir das dunkelfarbige Vanitas-Stück einerHolländerin, Maria van Oosterwijk, war beeindruckt von dem Kunstgriff, daß die Malerin ein kleines Buch mit dem Titel Self-Stryt, das vom Kampf zwischen Gut und Böse handelt, ins Bild geschmuggelt hatte, Mutter blieb lange vor diesem Bild, während Vater amüsiert war von Dürers Amor als Honigdieb, den ein Kreisel aufgebrachter Bienen umschwirrte; Dorothea und Oda betrachteten tuschelnd Arcimboldos Winter, den Waldkastellan mit Efeuhaar und Zitronen am Kragen; mich faszinierte Caravaggio, David mit dem Haupt des Goliath, auf dem ein Jüngling in mysteriösem Licht vor einem Hintergrund undurchdringlicher Nacht, das Schwert über die rechte Schulter gelegt, in der Linken Goliaths zyklopischen Schädel hält, der Gesichtsausdruck des Jünglings ist beiläufig, fast sinnend, ein wenig verächtlich und wegwerfend; Mutters Stimme wieder vor einem Stilleben: Hier hat der Maler gegen die Konvention verstoßen, indem er ein lebendes Tier ins Bild gebracht hat; in einem regelrechten Stilleben hätte das Hündchen da nichts zu suchen; ich konnte also Kaltmeisters Frage beantworten
    – ihr wohnt sehr schön hier, sagte ich zu Mauritz, diese Stille und der Fluß in der Nähe ... Wir gingen an der Havel entlang, auf der noch ein paar Boote langsam fuhren; er bückte sich plötzlich nach einem Nachtfalter, einem grauen haarigen Schwärmer, der in ein Wasserloch gefallen war und matt noch ums Leben kämpfte, führte seine Hand unter den Falter und nahm ihn vorsichtig auf, mich ekelte das Tier, ich hatte schon immer eine Phobie vor Nachtfaltern, diesen heimlichen, rauchgrauen Spähern mit felligen Körpern, Dämmerungsgeister, die man nicht lieben kann wie

Weitere Kostenlose Bücher