Der Elefanten-Tempel
beäugte den Stab ohne Angst und machte sich gleich darauf einen Spaß daraus, Ricarda Luft auf den Kopf zu pusten und so ihre Haare zu verwuscheln. Dann sperrte sie das Maul auf; was wollte sie denn jetzt? Futter?
»Sie mag es, wenn man sie krault auf der Zunge«, erklärte Kaeo.
»Nee, echt?« Ricarda versuchte festzustellen, ob er sich gerade einen Spaß mit ihr erlaubte. Wenn Sofia einen Scherz machte, blickte sie genauso ernsthaft drein wie jetzt Kaeo. Aber bisher hatte Ruangs Sohn nicht versucht sie zu verulken. Also streckte Ricarda die Hand in Daengs Maul und kratzte mit den Fingern über ihre große rosa Zunge. Und tatsächlich, Daeng sah so aus, als gefiele es ihr. Wahrscheinlich kitzelte es irgendwie lustig. Nur leider war Ricardas Hand jetzt angefeuchtet von Elefanten-Sabber. Gut, dass immer irgendwo ein Eimer Wasser herumstand.
»Iiiih«, sagte Sofia, die das Ganze vom Nacken Mae Jai Dis aus beobachtet hatte. »Da hört es bei mir echt auf! Darauf muss meine Jai leider verzichten.«
Heute hatte Mae Jai Di zwei Reiterinnen: Chanida saß hinter Sofia und balancierte mit perfektem Gleichgewicht auf dem runden Rücken der Elefantin. » Mai mii panhaa , kein Problem«, lachte sie. »Ihr dürft morgen trotzdem mit zum Baden.«
Sofia jubelte und Ricarda stimmte ausgelassen mitein. Dann beobachteten sie beide Mae Na Rak, ein dreißigjähriges Weibchen. Ihr großes Hobby war Fußball. Immer wieder trug sie den alten, abgewetzten Lederball zu ihrem Mahout – der sich den Spitznamen Jack zugelegt hatte – und bettelte um ein weiteres Spiel. Jack ließ sich erweichen und kickte den Ball in ihre Richtung. Mae Na Rak hastete so eifrig hinterher, dass ihr grauer, faltiger Hintern wackelte. Geschickt schoss sie den Ball mit dem Vorderfuß wieder in Jacks Richtung und stieß ein schrilles Trompeten aus, wahrscheinlich Elefantenjubel.
Noi, das Kalb, kam neugierig hinzu und versuchte sich auf den Ball zu werfen. Doch Mae Na Rak war schneller und fing Jacks nächsten Pass ab, bevor Noi überhaupt begriffen hatte, was vorging. Noi rannte mit ihren trippeligen Elefantenschritten hinter dem Ball her, und Mae Na Rak war gezwungen, ihn mit dem Rüssel zu schnappen und hoch außer Reichweite zu halten.
Ricarda musste lachen. »Das war aber gegen die Regeln, oder?«
»Siehst du vielleicht irgendwo einen Schiedsrichter?« Sofia grinste.
Ja, gerade nahte einer. Es war Ruang. Er stemmt die Arme in die Hüften und betrachtete Mae Na Rak. »Es geht ihr wieder gut. Schön! Sie war traurig, als sie zu uns kam.«
»Wo habt ihr sie denn her?«, erkundigte sich Sofia neugierig.
»Beim Round-up in Surin, einem großen Elefantenfestival im Herbst, habe ich sie gesehen. Da stand sie abseits von den anderen, angekettet. Sie wiegte sich dabei hin und her … so, immer wieder. Elefanten machen das, wenn sie einsam und unglücklich sind. Und ihr Blick … ah. Schrecklich. Ihr liefen die Tränen herunter.« Ruang tätschelte Mae Na Rak und die brummelte leise vor Behagen. Sie versuchte die Rüsselspitze in die Thermoskanne zu stecken, aus der Ruang sich einen Saft eingeschenkt hatte, doch Ruang sagte etwas Strenges und die Elefantin überlegte es sich sofort anders. Keine Frage, Ruang war hier ganz klar der Chef.
»Elefanten weinen?«, fragte Ricarda leise.
Doch Ruang hatte anscheinend ebenso gute Ohren wie die Elefanten. Er hörte es und nickte. «Wie wir Menschen. Die einzigen Tiere, die so etwas machen. Ich habe versucht Mae Na Rak freizukaufen, der Besitzer wollte erst nicht, aber schließlich hat es geklappt. Nach ein paar Wochen hat sie sich angefreundet mit der Herde. Meistens ist sie mit Mae Sumali und Angelina zusammen.«
Sofia hatte anscheinend auch Freunde gefunden. Sie und Chanida steckten die Köpfe zusammen und lachten über irgendeinen Witz, den Ricarda nicht mitbekommen hatte. Dann stiegen sie ab und führten ihre Elefantin vom Übungsplatz, jetzt durfte Mae Jai Di sich wieder mit dem Rest der Herde im angrenzenden Wald tummeln. Dort verbrachten die Elefantendie ganze Nacht, sie konnten sich innerhalb des umzäunten Grundstücks völlig frei bewegen.
»Heute Abend … ihr essen mit uns?« Kaeo deutete mit dem Kinn auf das stelzige Haupthaus und seine Halsketten klimperten.
Ricarda nickte, während sie sich die Sandalen wieder anzog. Verlegen lächelnd strich sie sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Aber gerne!«
Wohin war Sofia verschwunden? Sie war nirgends mehr in Sicht. Wieso hatte sie nicht gewartet?
Weitere Kostenlose Bücher