Der Elefanten-Tempel
nein, sehr nett, wirklich, aber doch lieber nicht, ein anderes Mal …«
Ruang und Kaeo kamen herein und Ricarda erstarrte, als sie sah, wer bei ihnen war. Nuan! Er nickte ihnen höflich zu, verschwand dann mit Kaeo in einem Nebenzimmer und kam bald darauf ganz anders angezogen wieder zum Vorschein – jetzt trug er Jeans, die ihm sogar fast passten, und eins von Kaeos T-Shirts. Es war ihm ein bisschen zu kurz. In die Stadt geht er so besser nicht, dachte Ricarda.
»He, ob ihn sein Elefant jetzt noch wiedererkennt?«, witzelte Sofia leise, doch Ricarda antwortete nicht, tat, als hätte sie die Bemerkung nicht gehört. Was konnte Nuan dafür, dass er mit wenig Gepäck hier angekommen war? Und in dem Dorf, aus dem er stammte, war Mode wahrscheinlich nicht gerade ein großes Thema. Falls es dort überhaupt einen Shop gab, in dem man Klamotten bekam.
Das Essen war fertig, und sie setzten sich im Kreis auf den Boden um den flachen Tisch, auf den Schalen mit verschiedenen Gerichten und ein Riesentopf Reis gestellt wurden. Jeder nahm sich eine Portion in seinSchälchen, gleichzeitig wurde munter geplaudert und gescherzt. Es roch sehr lecker, aber Ricarda bemerkte es kaum, sie war gerade schwerwiegend abgelenkt. Nuan saß keine zweieinhalb Meter von ihr entfernt.
Oma Gai tätschelte ihr mit einem breiten dunkelroten Lächeln den Arm und zeigte auf eine Schüssel mit Hühnchen, Paprika, Bambussprossen und Cashewnüssen in einer gelblichen Soße. Ja, das sah gut aus. Ricarda nickte lächelnd und griff zu.
»Äh … Ricarda … das hat meine Oma gekocht«, meinte Chanida besorgt. »Und die mag’s gern scharf.«
Doch es war schon zu spät. Ricardas Mund begann unerträglich zu brennen und ihre Augen tränten, bis sie kaum noch etwas sah. Verzweifelt tastete sie nach einem Wasserglas und stieß dabei eine Flasche mit Sojasoße um. Hastig schluckte Ricarda den Bissen hinunter, hustete, schob die Schale mit ihrem Essen von sich und versuchte ohne viel Erfolg, die große braune Soja-Lache mit einer Bahn von der Klopapierrolle aufzuwischen, die als Serviettenersatz auf dem Tisch stand.
»Iss ein bisschen Reis, das hilft«, meinte Chanida und lächelte mitleidig. »Sorry, ich hätte dich warnen sollen!«
»Schon gut«, murmelte Ricarda. Sie traute sich nicht, einen Blick auf Nuan zu werfen, bestimmt hatte er alles mitbekommen und womöglich fand er es enorm lustig.
Sofia jedenfalls hatte Mühe, nicht lautherauszuplatzen. Doch dann half sie die Sojasoße aufzuwischen und legte Ricarda tröstend einen Arm um die Schultern. »Komm, probier noch was anderes, das da vorne mit der Kokosmilch-Soße schmeckt total gut.«
Als Ricarda irgendwann doch noch zu Nuan hinüberschaute, stellte sie fest, dass er sich die ganze Schale mit dem ultrascharfen Curry von Oma Gai gefüllt hatte. Und dass er aß, ohne eine Miene zu verziehen. War da ein winziges humorvolles Funkeln in seinen Augen, als ihre Blicke sich trafen? Es war verschwunden, bevor sie ganz sicher sein konnte.
Ein wenig tröstend fand Ricarda, dass sie schon bessere Tischmanieren gesehen hatte als seine. Soße auf dem Kinn und Reis in den Mundwinkeln galten sicher auch in Thailand nicht als besonders elegant. Also schaute Ricarda sich lieber ab, wie Chanida und Gulap es machten. Sie hielten in der rechten Hand einen Löffel und in der linken Hand eine Gabel; das Essen wurde mit der Gabel auf den Löffel geschoben. Messer gab es keine und die brauchte man auch nicht, weil die Zutaten schon klein geschnitten waren.
Sofia beteiligte sich an der lebhaften Unterhaltung, Ricarda hörte lieber zu. Gerade ging es darum, an wen Chanida schrieb, und Chanida erzählte von ihrer Brieffreundin in Nigeria, deren Vater gerade wegen irgendeiner politischen Geschichte verhaftet worden war. Sie tat von Asien aus ihr Bestes, um ihre Freundin aufzumuntern.
»Schick ihr am besten ein Amulett, das ihr Glückbringt«, mischte sich Kaeo ein und zeigte stolz vor, wie viele er selbst trug.
»Wofür sind deine denn alle gut?«, erkundigte sich Sofia und berührte, wahrscheinlich ohne dass es ihr bewusst war, ihre großen, baumeligen Ohrringe, die sie sonst immer trug und hier bei den Elefanten nur abends. Vielleicht sind diese Ohrringe ihr ganz eigener Talisman, dachte Ricarda.
Kaeo begann zu erklären, wovor jedes seiner Amulette schützte. Drei gegen Gefahren, eins gegen Schlangenbisse, eins für Glück in der Liebe und die anderen gegen verschiedene weitere Widrigkeiten des Lebens.
»Glück in
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