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Der Elefanten-Tempel

Der Elefanten-Tempel

Titel: Der Elefanten-Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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ins Innere zu gelangen. Vielmehr schien ihm zu genügen, einfach dazustehen, fast nachdenklich sah das aus. Oder ehrfürchtig.
    Ricarda war fasziniert. Welches Geheimnis barg der Tempel für diesen Elefanten? Welchem Ruf war er gefolgt? Was suchte er hier?
    Wie auf ein geheimes Signal schwenkte der Elefant den Kopf herum in ihre Richtung und sah sie an. Plötzlich erkannte Ricarda, wen sie vor sich hatte – an der Form der Ohren, den langen Beinen, der Haltung. Es war Laona.
    Laona?! Der schwierige, misshandelte Neuankömmling? Ruangs Worte fielen Ricarda wieder ein. Ihr geht nicht in ihre Nähe, okay? Zu gefährlich. In den letzten Tagen war Laona etwas ruhiger geworden, trotzdem wurde sie noch getrennt von den anderen gehalten, und bis auf Ruang wagte niemand sie zu berühren oder zu füttern. Ricarda war froh, dass sie bei ihrem nächtlichen Marsch einen Abstand zu der Elefantin gehalten hatte. Doch waren die knapp zehn Meter, die sie trennten, nicht viel zu wenig? Kein Zaun zwischen ihnen. Sie waren einander ausgeliefert.
    Noch immer stand die Elefantin ihr zugewandt. Ricarda versuchte sich zu entspannen, ihren rasenden Puls zu beruhigen. Ich bin nicht deine Feindin, schickte sie der Elefantin entgegen, versuchte alle Wärme in diese Gedanken zu legen, die sie in sich hatte. Ich will dich nicht fangen. Ich will nur sehen, wohin du gehst.
    Und ob es daran lag oder nicht, jedenfalls drehtedie Elefantin sich um. Das leise Flappen ihrer Ohren war das einzige Geräusch in der Dunkelheit. Jetzt bewegte sie sich wieder so zielgerichtet wie vorher, nur diesmal in die andere Richtung. Sie wollte zurück. Zum Refuge. Ob es für sie schon »Zuhause« war?
    Ricarda folgte ihr. Es kam ihr nicht in den Sinn, Laona um einen Ritt zu bitten. Was auch immer sie hier beim Tempel gesucht hatte, es gehörte ganz ihr und hatte nichts mit Menschen zu tun. Für diese Reise brauchte und wünschte sie niemanden, der auf ihrem Nacken saß und ihr sagte, wohin sie zu laufen hatte.
    Ein paar Autos kamen mit grellen Scheinwerfern an ihnen vorbei, doch Laona hörte sie schon sehr früh und verzog sich ins Unterholz, sodass sie von der Straße aus vermutlich nicht zu sehen war. Ricarda tat es ihr nach, sie hatte kein Interesse an besorgten oder aufdringlichen Fragen.
    Laona trottete gemächlich ins Refuge zurück, so als sei es ganz selbstverständlich, dass sie mal eben einen kleinen Ausflug unternommen hatte. Und ebenso selbstverständlich verriegelte Ricarda das Tor wieder hinter ihr und pflückte den Ast vom Elektrozaun. Wie Laona aus ihrem Gehege entkommen war, wusste sie immer noch nicht. Klar war nur, dass sie freiwillig das Refuge als ihre neue Heimat gewählt hatte. Es wäre ihr ein Leichtes gewesen, sich in den Wald davonzumachen.
    Zwei Uhr nachts. Lustig – daheim musste sieimmer schon um zehn Uhr dreißig im Bett sein, da kannten ihre Eltern kein Pardon. Erschöpft und mit wunden Füßen glitt Ricarda wieder in ihre und Sofias Hütte zurück. Trotzdem war sie in einer eigenartigen Hochstimmung. Und sie wusste, dass die Frage ihr keine Ruhe lassen würde. Die Frage, was Laona zu diesem Tempel hingezogen hatte.

    »Aufwachen, die Sonne steht schon am Himmel!« Chanida hangelte sich über den Balkon nach oben, ohne die Treppe zu benutzen. »Na, gut geschlafen?«
    »Bestens.« Sofia gähnte, reckte sich und drückte ihr Plüschschwein noch einmal, bevor sie es auf den Nachttisch zurückstellte. Dann warf sie die Decken weg und sprang hochdynamisch aus dem Bett.
    Ricarda blieb noch einen Moment mit unter dem Kopf verschränkten Armen liegen. »Ich hab auch gut geschlafen«, sagte sie und staunte, wie leicht die Lüge ihr fiel. Wieso hatte sie das überhaupt gesagt? Erzähl Chanida davon und vor allem Ruang, drängte etwas in ihrem Inneren. Sag ihnen, was Laona getan hat. Vielleicht ist es wichtig. Außerdem geht es nicht, dass ein Elefant einfach so nachts auf der Straße herumstrolcht.
    Doch ein anderer Teil von Ricarda stellte sich stur. Und warnte sie davor, Sofia einzuweihen, denn in diesem Fall wusste Chanida in ungefähr fünf Sekunden, was geschehen war.
    »Komm, wir gehen kurz bei Laona vorbei«, schlugRicarda auf dem Weg zum Frühstück vor. Sofia schaute zwar ein wenig erstaunt, machte aber mit.
    Sie fanden Laona in ihrem Gehege; sie schubberte sich gerade die Haut an der Rinde eines in der Mitte stehenden Baumes. Sah so aus, als hätten den schon ziemlich viele Rüsseltiere zum Kratzen missbraucht. Die Elefantin schaute

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