Der Elefanten-Tempel
früheren Königen gehört haben. Jeder König muss weiße Elefanten finden und an den Hof holen, das zeigt, dass er würdig ist das Land zu regieren.« Sie aß noch ein paar Löffel Curry. »Hast du auch gesehen die Statuen eines dreiköpfigen Elefanten? Das ist Erawan, Reittier von Indra, dem mächtigen Gott. Indra wohnt in einem Palast in der Mitte des Universums und Erawan hilft ihm mit seiner Kraft.«
»Muss schwierig sein, mit drei Köpfen«, raunte Sofia ihr zu. »Was ist, wenn jeder in eine andere Richtung will?«
»Dann gibt’s so ’ne Art Gedankenstau«, flüsterte Ricarda zurück.
»Kennt ihr eigentlich den hier?« Chanida holte ein Amulett hervor, das sie an einer langen Kette um den Hals trug. Sofia und Ricarda beugten sich neugierig zu ihr. Auf dem Amulett war ein dickes elefantenköpfiges Wesen abgebildet, das ebenfalls nur einenStoßzahn besaß. Es hockte da wie ein Mensch und sah ausgesprochen gut gelaunt aus.
»He, Moment mal, den haben wir auch in Chiang Mai ständig in den Läden gesehen«, hakte Sofia ein. »Außerdem kenne ich ihn aus meinen Bollywood-Filmen. Das ist Ganesha.«
»Stimmt, mir kam er auch bekannt vor.« Ricarda nickte. Ab und zu machten sie und Sofia sich einen gemütlichen Abend und warfen einen Bollywood-Film frisch aus Indien in den DVD-Player, das war immer lustig, romantisch und schön bunt. Leider hatten sie es bisher nicht geschafft, Lilly oder einen der Jungs dafür zu begeistern. Fabian hatte sich einmal dazugesellt, doch nach einer halben Stunde voller bissiger Lästereien hatten sie ihn rauswerfen müssen.
»Ganesha«, sagte Chanida – ehrfürchtig, aber auch mit großer Zuneigung, als spräche sie nicht von einem Gott, sondern ihrem Lieblingsonkel. »Er ist der Gott der Weisheit und außerdem hilft er dabei, Hindernisse aus dem Weg zu räumen und Probleme zu bewältigen. Deshalb habe ich mir das Amulett auch besorgt. Wir haben nämlich demnächst Prüfungen!«
Das war für Gulap das Stichwort, wortreich loszuschimpfen. Hastig stand Chanida auf, verbeugte sich vor ihrer Mutter und eilte in Richtung ihres Motorrads. »Muss zur Schule, bye-bye!«, rief sie. Der Motor erwachte spotzend zum Leben … und erstarb wieder.
Neugierig ging Ricarda zum Fenster, um zu sehen, was los war – und rannte zum Ausgang. Fahrig, mitzitternden Fingern, schlüpfte sie in ihre Sandalen und polterte die Treppe hinunter. Sofia war ihr dicht auf den Fersen.
Nuan und Devi standen wartend auf dem freien Platz vor dem Haupthaus. Nuan trug die Sachen, mit denen er im Refuge eingetroffen war, ein helles Hemd und eine weite braune Hose, die von einem Ledergürtel zusammengehalten wurde. Immerhin, jetzt war alles frisch gewaschen und geflickt. Seine Tasche sowie Bündel mit Ausrüstung und Proviant hatte er auf Devis Rücken befestigt. Auch Devi schien die Bedeutung des Moments zu spüren, denn sie wartete geduldig, die Spitze ihres Rüssels ruhte auf dem staubigen Boden.
Inzwischen hatte jeder mitbekommen, dass Nuan gehen würde, und die meisten Mahouts riefen Grüße, die Nuan erwiderte. Er sprach kurz mit Ruang und verbeugte sich, danach verabschiedete er sich von den anderen Mitgliedern des Haushalts. Auch von Gai, die geschmeichelt ein zahnlos-rotes Lächeln zurücksandte. Dann stand er auf einmal vor Ricarda, keine zwei Schritte entfernt, und Ricarda pochte das Herz bis zum Hals. Nuans tiefschwarze Haare schienen das Licht zu schlucken.
»Ricarda«, sagte er und es klang fremdartig, aber auch schön.
Zum ersten Mal sagte er ihren Namen. Zum letzten Mal.
Die Trauer verkrampfte Ricardas ganzen Körper.»Wohin wirst du jetzt gehen?«, fragte sie hilflos und spürte, wie ihr Tränen in die Augen traten. Sein Bild verschwamm, sie sah ihn wie durch einen Zerrspiegel. Dabei hatte sie sich noch einmal die Linien seines Gesichts einprägen wollen, den Schwung seiner Brauen, die Art, wie das Licht auf seiner Haut schimmerte.
Verschwommen merkte sie, dass Nuan ihr in die Augen blickte – und dass er zögerte.
Jetzt sieht er es, jetzt weiß er es, was er mir bedeutet, schwirrte es durch Ricardas Kopf. Nicht nötig, es zu gestehen. Augen können nicht lügen.
Vergessen war ihre Frage, auf die es sowieso keine Antwort gab. Halb blind streichelte Ricarda Devis Stirn, fühlte den Luftzug ihrer fächelnden Ohren. Pass auf ihn auf, Devi, okay? Sieh zu, dass er nicht in Schwierigkeiten kommt. Und führ ihn an einen Ort, der für euch beide der richtige ist.
Sie versuchte eine heitere
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