Der Elefanten-Tempel
jetzt? Wir müssen ihm helfen.«
»Moment mal, Moment.« Sofia setzte sich auf, wischte mit dem Arm das Moskitonetz zur Seite. »Warum fragst du mich das, was wir jetzt tun sollen? Die ganze Zeit geht das schon so. Was jetzt, Sofia? Langsam habe ich das satt, wie unselbstständig du manchmal bist. Du hättest alleine fahren sollen, das hätte dir mehr gebracht, weil du endlich gelernt hättest dein Leben zu organisieren!«
Das hätte ihr zweites, inneres Ich nicht besser formulieren können. Doch diesmal war Ricarda nicht in der Stimmung zurückzustecken. »Erstens war das nicht so gemeint, es war eine rhetorische Frage. Ich habe ja schon einen Vorschlag gemacht. Zweitens, dass ich dir alles überlassen habe, war eigentlich nur am Anfang, im Refuge war es nicht mehr so schlimm. Und drittens, manchmal habe ich deine Art, mich zu bemuttern und alles zu organisieren, auch ziemlich satt.« Ricarda suchte in Sofias Gesicht nach Zeichen, ob sie verstand. Fand keine. Bemühte sich verzweifelt zu erklären, was sie fühlte. »Es ist so … manchmal hätte ich vielleicht selbst gerne was ausprobiert, aber sofort preschst du wieder vor und reißt es an dich, und auf einmal ist alles erledigt und ich fühle mich irgendwie hilflos und traue es mich das nächste Mal erst recht nicht …«
Sofias Augen loderten vor Wut. »Ach, ich hab dichbemuttert? Nur weil ich mich dafür interessiere, wie es dir geht?«
»Du interessierst dich dafür, wie es mir geht?«, fragte Ricarda, und die giftige Suppe aus Bitterkeit und Enttäuschung, die sich schon seit Tagen in ihr zusammenbraute, kochte über. »Davon merke ich aber nicht viel! Ich meine, dass du nicht kapiert hast, dass ich schwer verliebt bin, ist okay, aber du hast mich auch noch links liegen lassen, das hat ziemlich wehgetan. Eigentlich hast du mich doch schon abgeschrieben, stimmt’s?«
»Wieso abgeschrieben? Nur weil ich ab und zu mit Chanida geplaudert habe? Hey, komm auf den Boden. Du bist nicht der Mittelpunkt des Universums. Nur weil ich mal mit jemand anders gut klarkomme, brauchst du nicht gleich vor Eifersucht zu brodeln.«
Ricarda atmete schwer, sie spürte die Tränen in ihren Augen prickeln. Nein, ich glaube nicht, dass ich der Mittelpunkt des Universums bin, schrie es in ihr. Im Gegenteil.
Aber schon war es wieder schwer, all das auszusprechen; die Wut, die die Sätze aus ihr herausgeschleudert hatte, war fast verpufft und die Worte blieben in ihr stecken wie das giftige Apfelstück in Schneewittchens Kehle.
»Hey, es tut mir leid.« Betroffen blickte Sofia sie an, und einen Moment lang sah es so aus, als wolle sie ihr wieder mal den Arm um die Schultern legen. Aber dann ließ sie es doch. »Ich wollte das alles nicht sagen.«
»Schon okay.« Ricarda rang sich die Worte ab. »Ich fürchte nur, ich kann nichts dafür, dass ich schüchtern bin. Es ist für mich selber auch schwer, weißt du.«
»Das weiß ich, und ich finde eigentlich auch nicht schlimm, dass du schüchtern bist – mich stört, dass du nichts dagegen unternimmst! Man kann sich zum Beispiel überwinden und lernen aus sich herauszugehen!« Sofia war schon wieder voll in Fahrt. »Mach das doch mal, verdammte Hacke. Lerne endlich zu handeln.«
»Was heißt hier endlich ?«, feuerte Ricarda empört zurück. »Ich habe längst damit angefangen. Was glaubst du denn, wo ich war, als ihr die Polizisten angestaunt habt?«
»Äh, ich weiß nicht, wo denn?«
»Ich habe Nuan versteckt. Hier in der Hütte, falls es dich interessiert.«
Jetzt war es raus. Verdammt.
»Ach du Scheiße.« Sofias Augen waren ganz groß geworden. »So sehr vertraust du ihm? Warum?«
»Ich weiß nicht. Nenn es Bauchgefühl.«
»Du hast Glück gehabt. Er hätte dir die Kehle durchschneiden können.«
»Wahrscheinlich. Findest du mich naiv?«
Müde hob Sofia die Schultern. »Manchmal schon. Und manchmal weiß ich nicht, ob du nicht auf irgendeine seltsame Art mehr spürst, mehr siehst als ich.«
Schweigend saßen sie nebeneinander auf demBett und starrten hinaus. Draußen hatte die Dämmerung begonnen, und Ricarda wurde klar, dass sie wahrscheinlich das Abendessen verpasst hatten. Egal. Sie wünschte sich so sehr, dass Sofia sie in die Arme nahm, sagte, dass alles okay war und sie immer noch Freundinnen sein konnten. Nein, diesmal war sie – Ricarda – es, die den ersten Schritt tun musste! Zögernd, vorsichtig drehte sich Ricarda zur Seite und legte die Arme um Sofia. Und Sofia stieß einen tiefen Seufzer aus, umarmte
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