Der Elefanten-Tempel
konnte kaum glauben, was er sah. Das Glück, Ricarda unversehrt wiederzusehen, überwältigte ihn fast. »Ricarda«, flüsterte er und suchte ihren Blick.
Einen Moment lang trafen sich ihre Augen, sprachen ihre Blicke von der Liebe, die sie verband. Doch genau das lenkte Ricarda ab. Ihre Finger griffen daneben, die Melodie entglitt ihr, und irritiert hoben die Dämonen mit gebleckten Fangzähnen den Kopf. Vor Angst packte Ricarda die Flöte zu fest und das dünne Holz zerbrach.
Die Dämonen fielen über sie her und zerrissen sie.
Nur Momente später brach Devi die Tür des Kerkers nieder, stürzte sich auf die bösartigen Wesen und schaffte es nach einem harten Kampf, sie zu zertrampeln. Doch es war zu spät. Ricarda war tot.
Voller Schmerz und Schuldgefühle kletterte Nuan auf Devis Rücken und bat sie, ihn zu König Arakhar zu bringen. Er holte das Schwert seines Großvaters aus dem geheimen Versteck, besiegte König Arakhar im Zweikampf und tötete ihn. Voller Wut und Trauer scharte er die Reste seiner einstigen Armee um sich und trieb Arakhars nun führerlose Truppen aus dem Land. Wenig später wurde er der neue König von Surin.
Doch die Schwermut verließ ihn nie, und obwohl er ein mächtiger Herrscher wurde, blieb es seine einzige Freude im Leben, bei Sonnenaufgang auf Devi zu reiten und sich gemeinsam mit ihr an seine Liebe zu erinnern.
Der Tempel
Ricarda schlief schlecht in dieser Nacht, vielleicht hörte sie es deshalb. Das leise Wush eines Zweigs, der zur Seite gebogen wird und wieder zurückschnellt. Ihre Augen öffneten sich in der Dunkelheit, ihr Herz legte einen Sprintstart hin, und bevor Ricarda richtig begriffen hatte, wo sie sich befand und was gerade geschah, hatte sie das Bett schon verlassen und stand am Fenster.
Es schien ihr dunkler als in der letzten Nacht, der Mond war nicht mehr ganz voll und es sah aus, als versuche jemand ihn mit einem Tafelschwamm vom Himmel zu wischen. Angestrengt starrte Ricarda in die Dunkelheit und erkannte Laonas sich bewegende Gestalt. Sie war wieder unterwegs! Diesmal um zwei Uhr nachts, hatte sie gewartet, bis im Haupthaus alle schliefen?
Hastig zog sich Ricarda an. Sie streifte sich ihre festen Schuhe über, damit war sie auch für einen weiten Weg gerüstet. Dann tastete sie in Sofias Koffer umher, wo war denn die Taschenlampe, die Sofia mitgeschleppt hatte? Ach da. Und jetzt nichts wie los, sonst war die Elefantin über alle Berge.
Jemand hatte das Holzstück weggeräumt, das Laona das letzte Mal benutzt hatte, um den Elektrozaun kurzzuschließen. Nachdem die Elefantin eine Weile unschlüssig vor dem Tor gestanden hatte, brach siemit dem Rüssel einen neuen Ast vom nächstbesten Baum ab. Es gab ein scharfes Krachen, und Ricarda zuckte zusammen, schaute zum Haupthaus hinüber. Sie schüttelte den Kopf über sich, als ihr klar wurde, was sie dabei gedachte hatte. Hoffentlich hat das niemanden aufgeweckt . War sie jetzt Laonas Verbündete? Ja, irgendwie schon. Sie wünschte sich, dass Laona ihr Ziel erreichen konnte. Würde sie heute wieder zum Tempel gehen?
Ja, die Elefantin schlug wieder den Weg nach Lampang, zum Tempel, ein. Warum sie das tat, war Ricarda noch immer rätselhaft. Das Gespräch mit Chanida hatte ihr keinen Anhaltspunkt gebracht. Irgendetwas verband die Elefantin mit diesem Tempel, aber was? Hatte sie einmal dort gelebt, war sie dort glücklich gewesen? Nein, auf dem Gelände wurden sicher keine Tiere gehalten, außer vielleicht Hunde – von denen hatte sie bei Taos Mönchsweihe ein paar gesehen, die schienen zur üblichen Grundaustattung eines thailändischen Tempels zu gehören. Ricarda fand es sehr sympathisch, dass der Buddhismus ein so entspanntes Verhältnis zu Tieren hatte. In der christlichen Religion galt ja alles, was mehr als zwei Beine hatte, als dem Menschen untertan und damit basta.
Es war beruhigend, diesmal eine Taschenlampe dabeizuhaben, doch schon bald schaltete Ricarda sie aus, damit ihre Augen sich besser an die Dunkelheit gewöhnen konnten. Als sie sich dem Tempel näherte, erkannte sie die wuchtige Silhouette der äußerenMauer. Ricarda überquerte den sorgfältig gepflegten Rasen, der die Außenseite des Tempels umgab, und beobachtete Laona genau. Vielleicht gelang es ihr ja heute, das Rätsel zu lösen!
Das tiefe Schnaufen eines Elefanten. Ricarda reagierte erst nicht, doch dann kroch eine kalte Furcht ihren Nacken hoch. Das Schnaufen kam aus der falschen Richtung. Es war nicht Laona gewesen, die es
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