Der Elefanten-Tempel
wusste Ricarda, dass sie es sagen musste, jetzt, bevor es zu spät war. Es reichte nicht, die Stille spüren zu können. Jetzt mussten Worte her, auch wenn es ihr schwerfiel.
»Aber ich bin mit ganzer Seele hier und mit ganzem Herzen«, sagte sie leise. »Und danach wird nichts mehr sein wie zuvor.«
Ein Flüstern in der Dunkelheit. »Und, wirst du das verfluchen?«
»Nein. Nein, das werde ich nicht. Und du? Wünschst du dir, du wärst nicht geflohen? Glaubst du … deine Eltern vermissen dich?«
Es dauerte eine Weile, bis eine Antwort kam. Undals er sprach, klang seine Stimme verzerrt. »Wie kann man jemanden vermissen, der getan hat, was ich getan habe?«
Ricarda war schockiert. »Du meinst … sie wollen nicht, dass du zurückkommst?«
»Ich glaube nicht. Vielleicht meine Schwester Nok. Sie kann verzeihen. Als Kind habe ich einmal versehentlich ihre Haare in Brand gesetzt und sie hat mich nicht mal geschlagen. Außerdem ist ihre Wut auf Por fast so groß wie meine, weil ihre Chancen auf eine gute Heirat jetzt viel schlechter sind als zuvor.«
Als Ricarda sah, dass Laona sich rührte, wieder in Bewegung setzte, war sie fast wütend auf die Elefantin. Hätte sie nicht noch ein kleines bisschen länger meditieren können oder was auch immer sie hier tat?
»Verzeih mir, ich muss gehen«, sagte sie traurig. Sie war für Laona verantwortlich und sie nach Hause zu begleiten war ihre Pflicht. Zwar konnte sie nicht ganz klar sagen, wer hier wen nach Hause brachte, aber einer musste ja das Tor hinter Laona wieder schließen.
»Ich verstehe.« Er hatte sich schon wieder gefangen, seine Stimme war gleichmäßig, von ruhiger Würde.
Sie musste es wagen, den Anfang machen. »Wann sehen wir uns wieder?«, flüsterte Ricarda und spürte, wie sie die Farbe wechselte vor Verlegenheit. Gott, war das lästig, dieses ständige Rotwerden. Gut, dass er das nicht sehen konnte.
»Morgen. Hier. Um zehn Uhr abends? Wirst du da sein?«
»Ja«, sagte Ricarda schlicht.
»Und frag jemanden, ob Laona schon mal hier war, in Lampang. Bevor sie zu euch gekommen ist.«
»Mach ich«, sagte Ricarda und zögerte, wusste nicht, wie sie sich verabschieden sollten, konnten. Nein, es war noch zu früh, um sich zu berühren, auch wenn sie sich so sehr danach sehnte, seine Umarmung zu spüren, seine Lippen auf ihren.
»Sawat-dii khrap«, sagte er einfach. Auf Wiedersehen.
»Sawat-dii khaa« , erwiderte Ricarda, drehte sich um und ging mit schnellen Schritten davon.
Gott des Mondes
Bleiern und kraftlos lag Ricarda im Bett und bekam ihre Augenlider einfach nicht hoch.
»Soll ich dir eine Kanne kaltes Wasser über den Kopf schütten?« Sofias Stimme. »Ich hab schon geduscht, und du? So lebendig wie ein Stück Tofu.«
Ricarda stöhnte und rollte sich unter der Decke zusammen wie ein junges Eichhörnchen in seinem Nest. Es geschah ihr ganz recht, das war die Quittung für die Nächte, die wegen Laona so kurz ausgefallen waren. Eigentlich brauchte sie nicht viel Schlaf, aber in letzter Zeit war es selbst für sie zu wenig gewesen. Und trotzdem. Wenn sie daran dachte, wen sie dort am Tempel getroffen hatte, schlich sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. Schon flutetete die Erinnerung hoch, und sie kostete noch einmal jedes Wort aus, das sie mit Nuan gewechselt hatte. Tausend Dank, Laona!
»Na, das muss ja ein schöner Traum gewesen sein.« Sofia klang neugierig. »Kannst du dich noch daran erinnern?«
»Leider nicht«, krächzte Ricarda schnell. Immerhin, jetzt war sie wach, es war Zeit, ihre verklebten Augenlider auseinanderzuzerren. Sie blinzelte ein paarmal ins Licht – und sah sofort, dass etwas nicht stimmte. Sofia wandte ihr den Rücken zu und die Bewegungen, mit denen sie sich das T-Shirt überstreifte, waren steif und eckig.
»Komisch, aus irgendeinem Grund glaube ich dir das nicht.« Auf einmal klang Sofia kühl. »Falls es dir lästig ist, dass ich dich so viel frage, dann sag es doch einfach.«
Ricarda richtete sich im Bett auf, strich sich die wirren dunkelbraunen Haare aus der Stirn. Sie hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen. Sofia war ihre beste Freundin – wieso hatte sie ihr eigentlich verschwiegen, was Laona tat? Wohin Ricarda ihr nachts folgte?
»Vielleicht fällt es mir wieder ein, was ich geträumt habe«, meinte Ricarda verlegen, doch Sofia schleuderte ihr nur ein »Bis nachher« entgegen, dann knallte die Holztür ins Schloss.
Ricarda vergrub den Kopf im Kissen. Mist! Vielleicht fällt es mir wieder ein, was ich
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