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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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Technik aller Wahrscheinlichkeit nach geholfen werden konnte? Ein Widerspruch, den Charlotte als persönliche Beleidigung empfand. Wer war dieser Hochstettler?
    Energischer und hitziger als beim ersten Mal trat Charlotte auf das Fußpedal. Für einen Moment schoben sich Manteuffels dünne weiße Beine vor ihr geistiges Auge. Charlotte musste trotz aller Anstrengung kichern. Dann auch über diesen Uri, der hypnotisiert dastand und schaute. Ein tolles Publikum!
    Es war nur so eine Idee gewesen. Vage, ohne konkrete Erwartung. Entwich das Leben blitzartig oder schlich es sich mit einer gewissen Verzögerung davon, so wie eine Flamme, bevor sie endgültig verlosch, immer kleiner und flackernder wurde? Deshalb schnitt sie den Frosch auf. In der Hoffnung, in seinen Eingeweiden etwas zu finden, das ihr einen Hinweis gab. Aber ohne Erfolg. Dass sie nochmals die Maschine anwarf, wieder auf das Pedal trat, war nur eine Laune. Oder wieder nur eine vage Idee. Dass der tote Frosch zuckte, als sie ihn mit dem elektrisierten Stab berührte, verwunderte sie nicht. Elektrizität wirkte ja auf so viele Materialien und Gegenstände, Menschen, warum nicht auch auf totes Getier. Sehr merkwürdig war nur, dass die wabbeligen Beine sich auch dann noch regten, als sie den Stab schon längst wieder weggelegt hatte. Nicht ein einziges Mal, aus Versehen vielleicht, sondern mehrmals hintereinander und deutlich, sogar seine klumpigen Zehen wackelten. Ganz ohne Berührung.
    »Hast du das gesehen?«, raunte Charlotte, erwartete jedoch von dem tölpelhaften großen Jungen, der komplett in Trance verfallen schien, keine maßgebliche Antwort. Hatte er etwa auch einen Bart, zumindest ansatzweise? Als sie es das nächste Mal ausprobierte, reagierte der tote Frosch wieder mit anhaltenden Zuckungen, die wellenmäßig durch seine Beine gingen, wenn auch abgeschwächt. Das Ergebnis, unerwartet, grandios, wie es war, verblüffte Charlotte. Sie konnte sich einfach keinen Reim darauf machen. Was bewirkte, dass tote Gliedmaßen fast wieder lebendig wurden? Das heiße Gefühl, einer Sensation auf der Spur zu sein, überschwemmte sie.
    Gleichzeitig wusste sie, dass sie allein in einer Sackgasse steckte. Jetzt hätte sie tatsächlich gern Manteuffel um sich gehabt, um diese Erscheinungen und ihre tieferen Gründe mit ihm diskutieren zu können. Denn alles, was sie bislang gelesen und ausprobiert hatte, half ihr nicht weiter. Es war ja nicht so, dass die Elektrizität, die dem Frosch den Garaus bereitet hatte, ihn wieder lebendig gemacht hätte. Aber wieso und woher diese Konvulsionen Minuten nach dem Tod? Hatte das Fluidum ein bisschen Lebenskraft in diesen armseligen Amphibienleib zurückgebracht? Oder war es umgekehrt so, dass vorausgesetzt, es gab noch Rinnsale von pulsierenden Säften unter der Haut, diese reaktiviert wurden? Konnte man mit Elektrizität am Ende reanimieren und wie mit einem Zauberstab Leben neu schaffen?
    Überwältigt von diesen Vorstellungen ließ sich Charlotte in den Sessel fallen, ungeachtet der zusammengeknäulten Unterwäsche, Bänder und Schals, die sich wie immer auf ihm türmten. Sie legte den Kopf in den Nacken und streckte die Beine aus, so dass sie fast bis zum Knie aus dem Kleid hervor schauten. Uri stummer Blick kroch auf ihr hin und her.
    Jawohl, sie würde das alles, was sie gerade beobachtet hatte, aufschreiben. Dann das Experiment wiederholen, mit anderen Fröschen, kleinen und größeren, am besten auch mit Mäusen. Irgendwann würde sie Zusammenhänge finden, eine große Hypothese aufstellen. An dieser Stelle ihrer Überlegungen zerbröckelte der Ärger der vergangenen Tage, und Glücksgefühle kündigten sich an. Sie würde zuerst an Manteuffel schreiben. Oder besser gleich an Professor Winkler in Leipzig, möglicherweise konnte der eine Korrespondenz mit der Londoner Königlichen Akademie der Wissenschaften vermitteln. Mit geschlossenen Augen trieb Charlotte auf einer Woge neuer Möglichkeiten.
    Als Charlotte die Augen wieder öffnete – Uri besaß keine Uhr, aber ihm kam es vor, als ob es mindestens eine Viertelstunde gewesen war, dass das Fräulein wie tief schlafend auf dem Sessel gesessen hatte –, nahm sie ernüchtert zur Kenntnis, dass der semmelblonde Junge mit den haarigen Flusen am Kinn nach wie vor in ihrem Zimmer anwesend war. Immerhin kümmerte er sich um die zwei noch brauchbaren Frösche, das hieß, er hatte seine liebe Not damit, die angeblich kaltblütigen, aber tatsächlich doch sehr umtriebigen Tiere

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