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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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immer wieder einzufangen und in ihren Topf zurückzubefördern. Jedenfalls hoffte er, dass es das war, was das Fräulein wollte, und er ihr damit wenigstens behilflich sein konnte. Die naheliegende Frage, die sie zwar schon gestellt hatte, aber aus zwingenden Gründen nicht geklärt worden war, musste zwangsläufig noch einmal gestellt werden. Dass sich dies nicht mehr wegschieben ließ, machte Charlotte ernüchternd deutlich, dass ihre Fahrt zu neuen Ufern im Moment jedenfalls noch nicht in der Realität stattfand.
    »Warum bist du eigentlich gekommen?«
    Uri stutzte. Auch er musste erwachen, zu sich und zurück aus der Welt der wunderbaren Schwerelosigkeit und ebensolchen Anblicke kommen, die er in seinem Leben so noch nie erlebt hatte. Wenn er abrupt gefragt worden wäre, dann hätte er, so benommen und selig fühlte er sich, gerade noch das Vaterunser ohne Stocken herunter rattern können. Aber wenn Jacob Egly wie vor einem Jahr in der Taufunterweisung nach dem einen oder anderen Psalm gefragt hätte – Uri schauderte und stolperte, kurz bevor er mit beiden Händen einen erneut auf den Boden geplumpsten Frosch erwischte.
    »Uri!«
    Uri ließ den Frosch hüpfen. Zu Hause hatte er das, was ihm Sarah Wort für Wort aufgetragen hatte, problemlos nachsagen können. Mehrmals sogar laut wiederholt. Als schließlich Samuel stumm und kummervoll genickt und eine Handbewegung angedeutet hatte, die sowohl einfach unwirsch gemeint sein oder auch Anweisung zu höchster Eile bedeuten konnte, war er losgelaufen und hatte unterwegs die Botschaft zur Sicherheit immer noch mal vor sich hin gemurmelt.
    Jetzt aber, mit ihren grauen Augen auf sich gerichtet, die so weit auseinanderstanden, dass er nicht genau wusste, ob sie mit dem einen nicht schon wieder zu ihrer Maschine schaute, wurde es vertrackt. Uri schwitzte, dann knurrte auch noch sein Magen unüberhörbar. Es musste weit nach Mittag sein. Essen, trinken. Genau darum ging es.
    »Die Flasche, also Sarah bittet sehr, dass Sie zurückkommen, dass Sie die Flasche mit dem Schwamm wieder mitbringen. Die dritte Amme ist weg, der Bauer mochte die sowieso nicht. Aber dem Jakob geht es immer schlechter. Wir haben solche Angst, dass er stirbt. Bitte kommen Sie …«
    Die Worte purzelten aus Uri heraus wie erdverklumpte Kartoffeln aus einem offenen Sack und kullerten vor Charlottes Füße.
    »Und Hochstettler?«, fragte Charlotte, atmete scharf und zog die rechte Augenbraue hoch. Aber weder diese Geste noch die Ironie in ihrer Stimme begriff er, seine Unschuld wappnete ihn gegen alles.
    »Hat nichts mehr dagegen gesagt, als Sarah vorschlug, dass ich Sie hole«, antwortete Uri und strahlte sonnig. Die möglichen Folgen der Botschaft gingen ihm langsam auf.
    Zunächst aber ließ Charlotte den Jungen auf den Knien herumrutschen und in alle Ecken kriechen, bis seine Hosen staubig waren. Die Flasche, wo steckte sie doch gleich wieder? Sie befahl ihm, das schwere Bettgestell samt Vorhängen beiseitezuschieben. Uri stemmte seine Füße in den Boden und drückte, dass ihm beinahe der Kopf platzte. Zusammen mit einem lila Strumpf, dem im Schloss geklauten, aber längst uninteressant gewordenen Bernsteinklumpen und einem zerknitterten Liebesbrief von Louis wurde die Fasche schließlich eingebettet in einer Staubwolke gefunden. Wie durch ein Wunder steckte in ihrem Hals noch immer der kleine Schwamm.
    Jakob trank nur noch tröpfchenweise. Zügiges Saugen schaffte er nicht mehr, sondern schleckte nur noch zaghaft das, was er auf die Lippen geträufelt bekam. Auch dabei schlief er immer wieder ein und musste an den Ohren oder am mageren Kinn gezwickt werden, damit noch etwas Milch in ihn hineingezwungen werden konnte. Diese Prozedur war mühsam und zeitaufwendig. Sarah wiederholte sie jede Stunde, einmal übernahm sie Charlotte, aber es strengte sie so an, dass sie sich kein zweites Mal anbot. Wichtiger war schließlich, dass sie die Idee dazu gehabt hatte, sagte sie sich. Seine Augen machte der Kleine gar nicht mehr auf, und seine Haut war noch faltiger und grauer geworden, seit Charlotte ihn vor ihrem Hinauswurf gesehen hatte. Man musste schon blind sei, um nicht zu sehen, dass er austrocknete und dabei schrumpelte wie eine vergessene Walnuss unterm Baum.
    Aber immerhin, er erbrach sich nicht mehr. Die quälenden Krämpfe in seinem Bauch schüttelten ihn zwar immer noch, schienen nach Charlottes Beobachtung aber etwas nachzulassen. Auch Sarah kam es so vor. Aber Sarah hätte zu allem Ja und Amen

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