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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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tatsächlich an einer Magenverstimmung mit Brechreiz, und das Kleid zu ihrer Geburtstagsfeier sei noch immer nicht fertig, der Teufel hole die französische Modistin. Charlotte starrte auf die Buchstaben. Kleinlich und schneckenhaft gerollt die einen, die anderen mit so fahrigen Unter-und Oberlängen, dass Charlotte wie immer, wenn sie sie sah, fürchtete, sie würden gleich vom Blatt springen und das Weite suchen.
    Für solchen Unsinn fehlte ihr die Zeit. Jetzt, da sie sich seit Wochen wunderbar konzentrieren konnte und ihre Tage, einer nach dem anderen, übersichtlich und stabil wie kleine Perlen mit einem festen Knoten dazwischen zusammengeknüpft waren. Das würde sie sich nicht verderben lassen. Der Eilbote, den ihre Mutter geschickt hatte, musste mit einem Antwortbrief zurückreiten, in dem sie kurz und bündig gute Besserung wünschte. Manteuffels Zahn blieb ohne jeden Zuspruch.
    An den Vormittagen experimentierte Charlotte weiter mit elektrischen Schlägen auf Frösche, Mäuse und Stichlinge. Stillschweigend hatte sich Uri zu einem unentbehrlichen Assistenten gemacht und schleppte ihr nahezu täglich einen Weidenkorb an, unter dessen Deckel es zappelte und quiekte. Der Junge, der sonst nicht der schnellste war, entwickelte eine erstaunliche Geschicklichkeit, in seinen wenigen freien Momenten nicht nur alle möglichen Fallen und Reusen zu installieren, sondern diese Beutezüge auch noch vor Hochstettler geheim zu halten. Dementsprechend freigiebig belohnte ihn Charlotte mal mit einem innigen Lächeln, mal mit einem Taschentuch getränkt mit ihrem Parfum. Die Übergabe gestaltete sich unkompliziert. Denn jeden Nachmittag zwischen drei und vier Uhr tauchte sie auf dem Muckentalerhof auf. Nach wenigen Tagen schon von Bärli, dem struppig gelben Hund freudig begrüßt. Sie kam ohne Einladung, mittlerweile auch, ohne gebraucht zu werden, doch mit einem Grund, den sie wie eine Monstranz vor sich her trug. Sie musste schauen, so sagte sie sich, dass die Flasche, mit der Jakob gefüttert wurde, weiterhin gut in Schuss war und vorschriftsmäßig bedient wurde. Der Ordnung halber hatte sie zwischendurch den Schwamm, an dem der Kleine saugte, und der eigentlich noch so dicht war wie am ersten Tag, gegen einen neuen ausgetauscht. Nur sie konnte das, das wussten auch die Hochstettlers, jedenfalls hoffte das Charlotte. Schwämme waren schließlich eine exotische Kostbarkeit und nur über das Kirchheimer Schloss erhältlich.
    Jedesmal wenn sie kam, inspizierte sie zuerst Jakob. Das blaue Gespinst von Adern, das so alarmierend durch seine farblose Haut durchgeschienen hatte, verblasste zusehends unter rosigen Speckpölsterchen. Der Kleine machte immer öfter seine Knopfaugen auf, starrte dann konzentriert und ernst ins Nichts, trank gierig aus seiner Flasche, rülpste, wie es sein musste, übergab sich aber nie mehr. Allenfalls eine schmale Milchspur floss ihm aus seinen Mundwinkeln, wenn er satt war, und wurde von Sarah vorsichtig abgewischt. Diese Entwicklung machte Charlotte überaus stolz. Dass Felix viel zu diesem Erfolg beigetragen hatte, erwähnte sie nicht. Felix wäre auch nicht passend gewesen in dieser Küche, in der immer, auch wenn gekocht wurde, die Bibel offen auf dem Tisch lag. Andererseits hatte man hier wahrscheinlich gar keine Ahnung, was ein Atheist war.
    Wenn Jakob genügend in Sarahs Armen hin- und hergeschaukelt und schließlich behutsam in seinen Weidenkorb gebettet worden war, setzten sie sich meist Ellenbogen an Ellenbogen. Sarah, die den Vormittag über meist mit auf dem Feld gearbeitet hatte, schälte Kartoffeln, rupfte gelegentlich ein Huhn, putzte frisch gepflückte Bohnen oder puhlte Erbsen. Dabei plauderte sie unentwegt. Von den Vögeln, die sie im Garten gesehen hatte, dem Kuchen, den sie gebacken hatte oder backen wollte. Charlotte schaute andächtig zu, wie die kleinen Kugeln aus ihren Schoten direkt in die Schale hüpften und sich langsam zu einem grün geklackten Schatz anhäuften, und schwieg. Inzwischen fand sie das meiste, was sie bei den Hochstettlers sah, nicht mehr abschreckend, sondern nahm es einfach nur noch als kurios hin. Das galt auch für Hochstettlers Bart, wenn sie ihn hin und wieder von der Scheune über den Hof zum Stall laufen sah.
    Einmal probierte Charlotte aus, selbst Erbsen zu puhlen, brach aber sofort über ihre Ungeschicklichkeit in Lachen aus, während die Erbsen unter den Tisch kullerten und Sarah sie tadelnd aufsammelte. Meistens aber saß Charlotte einfach nur

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