Der elektrische Kuss - Roman
am Hof des Kurfürsten in Mannheim. Die Herren von Lamezan und von Hundheim beispielsweise. Sie könnte arrangieren, dass er wieder schnurstracks ins Gefängnis käme. Das alles hatte sie geschrien und Hochstettler mit dem Schlimmsten gedroht. Trotzdem blieben die Türen verrammelt. Aus einer der Kammern hatte sie das Surren eines Spinnrades gehört, und irgendwo glaubte sie Jakob weinen zu hören. Sie hatte überlegt, ob sie Steine an die Fensterscheibe, hinter der sie Sarah vermutete, werfen sollte, ließ es dann aber doch sein. Zum Narren mochte sie sich wegen dieser verstockten Bauern dann doch nicht machen. Sie wollte gerade aufsitzen, als Uri, geduckt wie ein geprügelter Hund, mit seinem Weidenkorb hinter einem Holzstoß hervorkam.
Bei ihrer Rückkehr nach Hause an dem Tag brannten noch nicht einmal Kerzen. Vor dem Abend lag noch ein halber Nachmittag. Auf dem Gang vor dem Schlafzimmer ihres Vaters rannte Rollo auf und ab. Seine kleinen Krallen klackten auf den Dielen, als würden mit dünnen Stricknadeln Strümpfe gestrickt. Charlotte beugte sich zu ihm hinunter, um ihn anzulocken. Die runden schwarzen Augen fixierten sie, aber das Wiesel verhielt sich wie immer bei jedem außer ihrem Vater scheu. Ein Gefühl der Verlassenheit überkam Charlotte und mischte sich mit dem des Überdrusses. Uris drei mickrige Mäuse hatte sie noch gleich auf dem Feld laufen lassen. Die Experimente hatten sich in der letzten Zeit nur noch wiederholt. Sie wusste inzwischen ziemlich genau, wie lange sie das Pedal ihrer Elektrisiermaschine bearbeiten musste, damit am anderen Ende des Fadens ein strampelndes Tier seine vier Beine von sich streckte und steif liegen blieb. Das war ausgereizt. Charlotte schlenderte in die Küche.
»Was gibt es Neues?«, fragte sie, ohne dass sie es wirklich wissen wollte.
»Die Damen aus Kaiserslautern waren mal wieder da und haben ihn beim Kartenspielen geschröpft.«
Die Köchin Ammerling grunzte noch ein paar Worte hinterher, die Charlotte aber nicht verstand. Lisbeth fütterte dem kleinen Fritz auf ihrem Schoß gerade Haferbrei. Die anderen Mägde schienen ebenfalls nicht viel zu tun zu haben.
»Jetzt hat der gnädige Herr schon seit zwei Tagen und Nächten sein Bett nicht mehr verlassen«, berichtete Lisbeth mit trauriger Stimme. Charlotte dankte ihr das Mitgefühl, indem sie Fritz über die blonden langen Haare streichelte, in denen dicke Nissen klebten.
»Und sonst?«
»Josef schimpft, weil so wenig Geld im Haus ist und die Lieferanten nicht mehr anschreiben wollen. Kerzen, Kaffee und Pfeffer gehen bald aus, Zuckerhüte sind eh schon keine mehr da. Der Wiedertäufer vom Muckentalerhof ist an allem schuld. Er bringt uns noch in Verruf, sagt Josef. Hochstettler ist schließlich ja auch im Gefängnis gelandet, weil er eine ganze Horde von diesen Ketzern heimlich bei sich hausen ließ.«
Fritz blickte von seiner Breischüssel auf und beobachtete ängstlich das Gesicht seiner Mutter.
»Ach, Lisbeth, so ein dummes Geschwätz, du weißt doch so gut wie ich, dass Josef von Tag zu Tag verdrießlicher wird und sich für einen päpstlichen Kardinal höchstpersönlich hält. Gib da nichts drauf. Komm, schenk mir lieber Bier ein.«
Charlotte saß in der rußigen warmen Küche, während die Ammerling zischende Tiegel über dem Feuer zurechtrückte. Mehr denn je fiel Charlotte auf, dass überall Schlachtabfälle herumlagen und es nach ranzigem Fett stank. Außerdem schmeckte ihr Bier schal. Wahrscheinlich, weil der Krug nie gespült wurde. Doch es entspannte sie zumindest. Charlotte hätte gern ihren Kopf auf die Tischplatte gelegt und ein wenig geweint. Vielleicht, weil es doch ein Fehler gewesen war, dass sie diesen Herrn Schwertfeger aus Mannheim, vor allem seine Weinfässer und Kutschen nicht geheiratet hatte. Selbstmitleid überschwemmte sie. Ihre einzige Freundin hatte man ihr genommen und mit ihr die schöne Stube mit den blinkenden Tiegeln. Drei, vier Jahre noch, dann würde sie als alte Jungfer abgehakt werden. Noch dazu eine mit einer Nase, die umso länger aussah, je schlaffer ihre Wangen und ihr Busen wurden. Eine zuerst noch amüsante, dann zunehmend lächerlicheErscheinung, arm noch dazu, nachdem der Alte alles versoffen hätte und die Mutter in ein Stift für adelige Huren abgeschoben wären. Das Fräulein von Geispitzheim hatte wohl zu viel mit ihrer Elektrisiermaschine herumhantiert und sich dabei das Fluidum ins Hirn geblasen. Genau so würde man über sie reden. Ihre Chancen, dieses
Weitere Kostenlose Bücher