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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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den Damen und Herren. Und Charlotte staunte, dass Sarah keinen Moment stockte. Immer mehr Tänzer kamen dazu. In die Atemwolken, die über ihren Köpfen schwebten, mischten sich geheime Liebesbotschaften und wortlose Verabredungen. Das Fest senkte und hob sich. Sarah tanzte, als ob sie bereits die zweite Saison am Kirchheimer Hof mitmachen würde. Die Männer warfen ihr begehrliche Blicke zu, Adelige wie Lakaien. Charlotte wusste, dass sie solche Blicke nie auf sich ziehen würde. Neidlos applaudierte sie und reihte sich ein. Ihre Hand wurde von der des Kabinettsekretärs Lamezan ergriffen, der anscheinend direkt aus Mannheim angereist war. Felix erwies mit knapper Verbeugung seine Reverenz und übersah dabei, dass die Lüsternheit der Baronin von Haltern ihm galt. Aus dem Nichts tauchte Ruben vom Froschauerhof auf und verbeugte sich. Seine hellbraunen Locken wehten unter dem breitrandigen Hut und schienen einen Hauch gepudert. Sarah glitt mit kleinen, lockenden Schritten auf ihn zu. Charlotte kam aus dem Takt, blieb verdattert stehen. Eine Spinnwebe klebte quer über ihrem Gesicht. Sie sah wieder, wie unwirtlich diese Scheune war. Durch alle Ritzen strömte Kälte, und in einer Ecke krümmte sich ein Fuchsskelett. Sarah tanzte quer durch ihren Ballsaal, und Charlotte sah zu, wie sie auf der anderen Seite des großen Z ankam. Sie schien die Töne der lautlosen Hofkapelle im Ohr zu haben und bewegte sich sicher zu einer Musik, die sie noch nie gehört hatte.
    Gerade rechtzeitig, bevor die Männer ihre Dreschflegel auf der Tenne beiseitelegten, kamen sie auf den Muckentalerhof zurück.
    »Jetzt habe ich eine Überraschung für dich. Außerdem ist ja bald Weihnachten.«
    Sarah hatte mit keinem Wort darum gebeten. Ihr heiserer kleiner Schrei aber bewies, wie sehr sie es sich gewünscht hatte. Das Kleid war nichts Besonderes. Vanille- und rosafarbener Kattun, gestreift, im Rücken weit wie ein Mantel fallend, eher passend für einen Nachmittag im Park. Es war ein Leichtes gewesen, es aus dem überquellenden Fundus ihrer Mutter mitgehen zu lassen. Es fiel nicht auf, da die französische Modistin nahezu jede Woche einen Auftrag für ein neues Kleid bekam. Seit der Kurfürst mit der Bretzenheimschen Enkelin ins Bett ging, tat er alles, um seine langjährige Mätresse, vor der er sich im Geheimen fürchtete, bei Laune zu halten.
    Sarah stand aufrecht und zitterte allenfalls vor Vorfreude, als ihre dunklen Röcke zu Boden sanken und sie in das Geschenk hineinstieg. Einen Reifrock ersparte ihr Charlotte.
    »Wie fühlt es sich an?«
    »Ach Charlotte, einfach unbeschreiblich schön. Ich danke dir so sehr.«
    »Aber die Haube muss jetzt auch runter.«
    Sarah erschrak, schlug die Augen nieder, griff nach den Bändern, legte sich die Hände schützend um den Hals. Der Kontrast zu ihrem Körper in dem Kleid war grotesk, zumal Sarahs Busen weit aus dem Ausschnitt ragte. Doch Charlotte bemerkte, wie die Kieselsteinaugen änstlich wurden, als ob sie entjungfert werden sollte.
    »Kein Mensch auf der Welt tanzt Menuett mit einer Haube auf dem Kopf.«
    »Bei Timotheus steht aber, dass Frauen ihre Haare …«
    »Wo Timotheus lebte, mussten sich die Frauen wahrscheinlich gegen die Sonne schützen. Außerdem glaube ich nicht, dass sich Timotheus mit Tanzen auskannte. Jetzt hab dich nicht so, wer sieht dich denn außer mir, und ich bin schließlich eine Frau.«
    »Aber du gehörst nicht zur Gemeinde. Du bist eine von draußen, aus der Welt.«
    »Welt, Welt, hier ist Europa, Zivilisation, Aufklärung, Fortschritt, verstehst du!«
    Charlotte verlor die Geduld, griff resolut nach den Haubenbändern, zog sie mit einem Ruck auf und gleichzeitig das schwarze Ungetüm von Sarahs Kopf. Mit einem geriebenen Bernstein hätte die Wirkung nicht bemerkenswerter sein können. Allerdings, schoss es Charlotte durch den Kopf, hätte es schon ein großer Brocken sein müssen. Woher dennoch das Fluidum kam, das die Haare, dick und gekräuselt wie sie waren, fast waagerecht und knisternd abstehen ließ, war ihr unbegreiflich. Elektrizität aus dem Nichts konnte es nach ihren bisherigen Erkenntnissen gar nicht geben. Und doch war sie sich sicher, einen kleinen Schlag zu spüren. Doch im nächsten Moment hörte die Elektrifizierung auch schon auf. Die Haare fielen auf Sarahs Schultern. Nur dass das Kleid mit einem Mal extravagant und sehr teuer wirkte.
    »Also gut, aber du darfst es nicht verraten. Nie, nie.«
    Charlotte wurde aus dem Blick des Mädchens wieder

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