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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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einmal nicht schlau. Verängstigt, gekränkt, gedemütigt? Was machte so eine Haube schon aus? Man musste beim Tanzen fürchterlich unter so einem Ding schwitzen. Und schließlich hatte Sarah dieses Spiel begonnen.
    »Na, dann los. Das große Z, quer durch den Saal, Mademoiselle.«
    Sarah tanzte dieses Mal traumwandlerisch. Für ganze Figuren schloss sie die Augen. Dabei lächelte sie, als wäre jeder Tänzer, der sich ihr näherte, Ruben. Sie streckte ihm die Hand entgegen, strahlte ihn verheißungsvoll an. Ihr Kleid, Haar und die Scheibe ihres kleinen Gesichtes leuchteten die Scheune aus. Wohin sie driftete, trug sie einen Schimmer und dekorierte faulende Schindeln und bemooste Balken zu Wandteppichen aus Brüssel und marmoriertem Stuck um. Sie wäre die ideale Tochter für meine Mutter gewesen, dachte Charlotte und berührte für einen Augenblick Sarahs kalte Fingerspitzen, bevor eine neue Figur getanzt werden musste. Mit ihr ließe sich in Kirchheim, ach was, in Mannheim und wahrscheinlich sogar in Dresden Furore machen. Die Bretzenheimsche mit ihrem rosa Schweineschinken von Gesicht könnte man getrost im Vorzimmer sitzen und Sofakissen sticken lassen, wenn der Kurfürst Sarah nur einmal tanzen sähe.
    Mit einem Zwinkern verständigten sich die beiden, das große Z als ein großes S zu tanzen. Es waren die Variationen, die auch dem Menuett die Spannung gaben. Sarahs Schritte wurden noch zierlicher und lockender. Ruben würde ihr heute nicht widerstehen können. Die zimtfarbenen Haare gewöhnten sich an den Takt und an den Hofknicks und wippten in ihrer ungewohnten Freiheit. Der weiße Schädel und die Rippen des Fuchses starrten bewundernd aus der Ecke heraus. Charlotte fragte sich bereits, wie sie heute das Mädchen zum Aufhören bewegen sollte, so entrückt und eigenwillig beseelt, wie sie tanzte. Täuschte sie sich, oder hingen dort oben Fledermäuse? Ihre Augen wanderten langsam die Dachsparren ab. In ihrem äußersten Blickwinkel tauchte gerade wieder Sarah auf, und sie wollte ihr gerade das erste energische Kommando zum Aufhören zurufen, als sie sah, wie sich die Türe langsam öffnete. Sarah hörte nicht einmal das Quietschen der verrosteten Angel und tanzte erneut die Diagonale.
    Drei Bärte glotzten auf das tanzende Mädchen im gelbrosa gestreiften Kleid. Dann zitterten sie und schlängelten in alle Richtungen. Ein besonders langer dunkler, mit grauen Streifen durchsetzt, ein blonder, eher rund gewachsener und ein dritter, dünn ausgefranster Bart, aus dem das Alter längst alle Farbe genommen hatte.

Kapitel 7
    M eidung?«
    »Jawohl, Meidung«, sagte Uri.
    »Sie darf nicht mehr mit uns am Tisch essen, und niemand redet mit ihr. Damit das Reine von dem Unreinen unterschieden wird. Sie muss abgesondert werden, ausgefegt wie ein Sauerteig. Den anderen zum Exempel und zur Furcht, damit die Gemeinde sauber bleibt, von solchen Schandflecken gebessert, nein, also, ich will sagen, Sarah zur Besserung, Reue und Buße …«
    »Wer hat dir denn diesen Unsinn eingetrichtert, Uri? Sarah hat doch nur ein bisschen getanzt. Das schlimm zu finden, ist ja ein Witz. Und mehr als drei kleine Mäuse hast du auch nicht dabei! Vielleicht sollte ich dich in Zukunft meiden.«
    »Aber sie haben sich alle vergraben, die Mäuse meine ich. Und Tanzen, Tanzen, das ist ein Lockmittel des Satans, noch dazu in prunksüchtigen Kleidern. Bitte, Fräulein, ich könnte noch versuchen, Ratten zu fangen, fette, große, aber wenn der Älteste es erfährt … gnädiges Fräulein …«
    Zornig klappte Charlotte den Deckel des Weidenkorbs zu, drehte sich auf dem Absatz um und ließ den Jungen unglücklich stehen. Dass das ungerecht war, wusste sie. Der arme Kerl hatte nur heruntergebetet, was die Bärtigen sagten. Die, die Sarah an dem Nachmittag in der Scheune mit sich fortgeschleift und sie selbst wie eine zweiköpfige Kuh angestarrt hatten. Dabei rollten die Männer so mit den Augen, dass man sie wegen Blutstau oder Übersäuerung dringend zur Ader hätte lassen müssen. Was seitdem mit Sarah passiert war, wusste sie nicht. Natürlich hatte sie nicht gezögert, gleich am nächsten Mittag wieder zum Muckentalerhof zu reiten. Aber sämtliche Türen waren abgeschlossen gewesen. Sie hatte mit der Faust dagegen gehämmert und an den Klinken gerüttelt. Sie, die Tochter des Grundherrn, das Fräulein von Geispitzheim, deren Mutter die Mätresse des Fürsten von Nassau-Weilheim war. Jawohl, Nassau-Weilheim! Außerdem kannte sie einflussreiche Leute

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