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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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fühlte es sich so an. Mit weichen Knien promenierte sie die Gänge des Schlosses auf und ab, grüßte, klinkte sich da und dort in einen Tratsch ein, spielte eine Partie Tricktrack zur Hälfte, flüchtete aber auch von dort. Nach zwei Tassen Kaffee spielte sie mit dem Gedanken, sich auf der Stelle zum Muckentalerhof kutschieren und die Schlösser aufschießen zu lassen. Sich das auszumalen brachte wenigstens für eine Viertelstunde Ablenkung. Aber dann kam sofort das Kribbeln im Magen wieder. Sie überredete einen Diener, ihr ein Glas Champagner zu bringen. Einsam in einer Fensternische stehend, kippte sie es hinunter. Gegen Viertel vor sechs am Nachmittag erkundigte sie sich nach den Zimmern des sächsischen Gastes.
    »Er ist Autodidakt, Drucker, Geschäftsmann, Philosoph, Politiker, Wissenschaftler und sonst noch was. Und dabei immer auf der Höhe der Zeit.«
    Graf Manteuffel rückte seinen Kopf, der ohne Perücke, nur bedeckt von spärlichen feuchten Haaren wie eine kleine Gemüseknolle im Kissen lag, zurecht. Sie war ja so willig, wenn sie wollte, das Fräulein von Geispitzheim. Überaus dumm nur, dass der Schmerz in seinem Zahn wieder aufgeflammt war. Wahrscheinlich war er in Zugluft gekommen oder ihm bekam das pfälzische Klima nicht. Vorsichtig ließ Manteuffel die Zunge über den pochenden Zahn gleiten.
    »Er arbeitet also mit Blitzen?«
    »Genau, genau. Er hat etwas erfunden, um sie einzufangen und, wie er mir geschrieben hat, sie dann dauerhaft zu beseitigen.«
    »Beseitigen?«
    »Beseitigen, einsperren oder so ähnlich.«
    »Mehr wissen Sie nicht?«
    Empört fauchte sie ihn an. Ein Vorwurf, der ihn fast so traf, als ob sie behauptet hätte, er sei impotent. Was er natürlich nicht war. Manteuffel fing an, von seinem Zahn zu sprechen. Schmerzen, höllische Schmerzen, da könne man ja leicht etwas vergessen. Wie schon im Frühjahr riss er seinen Mund auf und zeigte ihr seinen vereiterten gräflichen Zahn.
    »Die Anschrift, geben Sie mir seine Anschrift!«
    Es klang wie ein Befehl. Und weil es auch einer war, drehte Manteuffel seinen unbehaarten Körper, der einer hellgrauen Wurst ähnelte, die aus dem Schweinedarm gepellt worden war, aus dem Bett, sprang, seine Scham verbergend, zum Schreibtisch, wühlte in Papieren, kritzelte etwas und kroch schließlich mit einem Zettel zwischen den Fingern zu ihr unter die Bettdecke zurück. Charlotte las die Zeilen gründlich, nagte auf der Unterlippe und entschied sich schließlich zu glauben, dass das tatsächlich Hausnummer und Straße dieses Herrn Franklin waren.
    Wenn sie später zurückdachte, dann war ihr klar, dass ihr die zündende Idee beim Anblick von Manteuffels weißem, für seine sonstige Dürre erstaunlich vorgewölbtem und beim Gehen wippendem Bauch gekommen war. Er erinnerte sie unwillkürlich an die rahmhelle Unterseite der Frösche, die sie im Sommer elektrifiziert hatte. Ein neues Experiment fuhr in ihrem Kopf Karussell, drehte sich langsamer, kam zum Stillstand, und sie wusste, was sie tun musste. Mit einem zuckersüßen Lächeln schlug Charlotte die Bettdecke zurück.
    Nur kurz streifte ihr Blick Manteuffels Gesicht. Dann wanderte er seine Brust hinunter und verharrte so lange zwischen seinen Beinen, bis seine Hechtaugen so zahm waren wie die eines Zuchtkarpfen. Schließlich flüsterte sie ihm noch einen Vorschlag ins Ohr, der augenblicklich eine fleckige Röte in seine Wangen und auf seinen Hals trieb.
    »Aber nur, wenn wir vorher ein schönes Experiment machen.«
    Neckisch drohte Charlotte mit dem Zeigefinger. Der sächsische nickte. Touché.
    Der verschwiegene, von der Mutter gut geschmierte Kurier musste wieder los, um dieses Mal mit einer genauen Beschreibung der Lokalitäten die Elektrisiermaschine aus Charlottes Zimmer nach Kirchheim in das Appartement des Grafen zu bringen. Branntwein ließ sie auch noch kommen. Für alle Fälle. Als alles so weit aufgebaut war und Charlotte schon das Pedal trat, wollte Manteuffel kneifen.
    »Schlappschwanz.«
    Ein Kissen flog hinterher.
    »Ich könnte dabei sterben.«
    »Quatsch, ich habe es schon bei Fischen, Fröschen und Mäusen ausprobiert und weiß genau, wie viel Fluidum …«
    »Außerdem, ich meine, bei der Sache, die du mir versprochen hast. Es gibt Priester, die sagen …«
    Dem sächsischen Herrn brach der Schweiß aus. Sodass sich Charlotte alle Mühe geben musste, sich an die kleinen Schweinereien zu erinnern, die Madame Benoit jedes Mal, wenn ihr Vater kein Geld mehr geben wollte, tief aus

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