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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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für dich«, säuselte ihre Mutter. Und Charlotte fragte sich, wie eine Frau, die so viel Realitätssinn besaß wie ihre Mutter, bei diesem Herrn so danebenliegen konnte. Glaubte sie wirklich, diese hellen Hechtaugen würden ihr einen Antrag machen? Glücklicherweise hatte Charlotte schon genügend Punsch getrunken, als er sich vor ihr verbeugte. Seine Beine schienen noch dünner geworden zu sein. Der übliche Schlagabtausch begann, und jeder versuchte, seine Trümpfe auszuspielen. Ihr Blick blieb also provozierend andächtig an seinen Wangen kleben und stutzte damit seinen Hochmut. Was er wiederum mit abgehackten, sybillinischen Andeutungen wettmachte, die darauf abzielten, ihre Neugier zu provozieren, sodass sie prompt zu winseln begann.
    »Dr. Benjamin Franklin, aha, Sie korrespondieren neuerdings mit Dr. Benjamin Franklin, sagen Sie?«
    »Die Post braucht natürlich zu unser beider Leidwesen ziemlich lang. Das letzte Mal, ich sage Ihnen, war es besonders tragisch, zwei Monate musste er auf meinen Brief warten.«
    Manteuffel stöhnte kurz, aber theatralisch genug auf. Touché. Charlotte hätte sich gern die Zunge abgebissen und geschwiegen, aber ihre Neugier war stärker.
    »Zwei Monate? Aber von London geht es doch in ein, zwei Wochen?«
    Manteuffel genoss den kleinen Triumph und zögerte seine Antwort so lange hinaus, bis er sein Glas zur Hälfte geleert hatte.
    »Wer spricht denn von London, Mademoiselle? Dr. Benjamin Franklin ist zwar Untertan Ihrer englischen Majestät, lebt aber schon lange in den Kolonien, genauer gesagt, in Philadelphia, einer der kommenden Weltstädte übrigens. Franklin ist der amerikanische Elektriker schlechthin, wenn ich das so sagen darf. Sie können sich gar nicht vorstellen, wer mich alles um diese Korrespondenz beneidet … Er arbeitet mit Blitzen.«
    Versonnen ließ der sächsische Graf seinen rechten, ebenfalls recht fleisch- und farblosen Zeigefinger über den Rand seines Glases kreisen. Er hatte Charlotte da, wo er sie haben wollte.
    Wer sollte ihr helfen? Welcher Mann könnte sie ablenken oder sich als Bollwerk gegen Manteuffel und seine höllischen Versuchungen benutzen lassen? Charlotte löste nach dem ersten Knicks ihre Hand aus der des fettig grinsenden Herrn von Sickingen. Einer der Haxthausensippe stolperte vorbei, zu anständig verheiratet oder womöglich, so tuschelte man, an Frauen gar nicht interessiert. Trotzdem zwinkerte sie ihm zu und er ihr, so wie es sich gehörte, zurück. Oder der Fürst selbst? Stark geschminkt schlurfte er dieses eine Menuett zu Ende, wie immer mit einem sehr roten und sehr feuchten Mund. Ein neues Abenteuer würde ihm den Rest geben. Charlotte seufzte. Vier Perücken weiter verbeugte sich Felix vor der Gräfin Waldburg. Für ein, zwei Stunden würde sie mit ihm glücklich sein. Aber gegen Manteuffels Köder brauchte es schon mehr als einen Felix. Vielleicht schaffte sie es noch, sich einen Tag oder zwei zu beherrschen und sich fernzuhalten. Dr. Benjamin Franklin. Charlotte hatte den Namen noch nie gehört. Er arbeitete also mit Blitzen, hatte Manteuffel gesagt. Beinahe hätte sie versäumt, sich auf den Freiherrn von Venningen zuzubewegen. Er stank aus dem Mund und, so sagte man, hatte nie richtig lesen gelernt.
    Ihr war klar, dass Manteuffel ihr nichts mehr ohne seine berühmten Geschäftsabschlüsse verraten würde. Gedankenverloren glitt sie weiter, tanzte das große Z und lächelte mechanisch. Später würde man ihrer Mutter mit gespitzten Mündern sagen, dass sie reichlich grimmig ausgesehen habe beim Menuett, ihre kluge Tochter.
    Am folgenden Tag wachte sie schon nervös auf. Das Einfädeln im Boudoir der Mutter erwies sich als Katastrophe. Nicht nur, dass sie sich mehrmals hintereinander stach, auch der Saum, der eine kleine, aber sehr kostbare Brosche verbergen sollte, klumpte am Ende und war so schief, dass jeder Grenzsoldat, der die Mutter vielleicht einmal kontrollierte, jeder Gastwirt, bei dem sie abstieg, schnelle Beute wittern würde. Unwirsch trennte Charlotte alle Nähte wieder auf, stichelte von Neuem los, hörte aber unvermittelt auf, drückte der Mutter das Kleid plus die funkelnde Brosche in den Schoß, murmelte etwas von Unpässlichkeit und stapfte so schnell aus dem Zimmer, dass der Lakai, der gelauscht hatte, nicht rechtzeitig beiseitespringen konnte und nicht nur einen gehörigen Schreck, sondern auch die Tür heftig gegen die Nase geschlagen bekam.
    Ihr Puls raste, und ihre Organe verflüssigten sich, jedenfalls

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