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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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Obrigkeit, weil sie sich an die Schrift und die Ordnung von Ammann halten.«
    »Haben Sie das schon mal dem Kurfürsten gesagt?«
    Seine Antwort beschränkte sich auf ein kurzes Knurren, dann trat im Schutz des Dämmerlichtes eine Gefechtspause ein. Charlotte überlegte, ob sie Felix mit diesem Menschen zusammenbringen sollte, der einerseits hinter dem Mond lebte, andererseits ein Revolutionär der radikalsten Sorte zu sein schien. Nicht einmal Montesquieu hatte bislang gewagt, den König für überflüssig zu erklären. Samuel ließ sein Messer in der Innentasche seiner Jacke verschwinden, streichelte noch einmal Madeira und wandte sich schon zum Gehen, als er noch einmal innehielt und rief:
    »Also wozu? Wozu Ihre rastlose Gier, Gott mit immer neuen Tricks ins Handwerk zu pfuschen?«
    Charlotte kämmte mit den Fingern ausgiebig Madeiras Mähne, dann zuckte sie mit den Schultern und sagte betont leichthin:
    »Neue Chance, neues Glück. Oder um der Langeweile zu entgehen.«
    Dabei hob sie wieder eine Augenbraue und kräuselte spöttisch die Lippen, um zu kaschieren, wie getroffen sie war. Wieso ahnte Hochstettler überhaupt, wie schwierig es für sie war, einen einzigen Nachmittag lang glücklich zu sein. Und den Tag darauf vielleicht auch noch. Dann folgten aber sofort wieder die Stunden der Unzufriedenheit mit sich selbst. Wusste er, wie schrecklich es war, wenn das Ziel am Horizont verschwand, weil so viele Ziele möglich waren? Dazu die Angst, etwas zu verpassen, etwas nicht ausprobiert zu haben. Aber er musste es wohl wissen, sonst würde er seine Frage nicht so präzise angesetzt haben, wie gerade eben das Messer an den Abszess ihres Pferdes. Steckte hinter der Maske des frommen Bauern ein grausamer Menschenfeind? Charlotte atmete schwer aus. Ein breiiges Gefühl in ihrem Magen breitete sich aus und staute nach oben gegen ihr Herz. Müde und geschlagen stellte sie ihm eine letzte Frage:
    »Und Ihr Glück, Herr Hochstettler?«
    Er zögerte keinen Augenblick und antwortete so geradeheraus, als ob er über das heutige Wetter berichten würde.
    »Glück, Glück ist so begehrlich. Was ich brauche, ist die Sicherheit bei Gott. Dafür unterwerfe ich meinen Willen Tag für Tag Seinem Willen, sodass mein kleines Ich aufhört zu rumoren und so gelassen ist, dass mich Gott lenken kann und ich nicht das Gefühl habe, nur ein Saatkorn im Wind zu sein.«
    Noch während er sprach, drehte sich Samuel Hochstettler endgültig um und ging ruhigen Schrittes, nicht zu schnell und auch nicht zu langsam, durch den Stall in Richtung Tür. Madeira wieherte ihm nach. Charlotte blickte auf ihren roten Rock herunter, an dessen Saum Stroh und Kot hingen und der auch Rotzflecken abbekommen hatte. Sie starrte auf jede der eingesickerten Schleimschlieren. Mit einer jähen Bewegung raffte sie dann ihren Rock und eilte Hochstettler hinterher. Erst im Hof holte sie ihn ein und beinahe wäre sie über die Scherben eines Dachziegels gestolpert, als sie rief:
    »Warten Sie, Hochstettler, gerade ist mir noch was eingefallen. Es gibt da einen französischen Arzt namens La Mettrie, der hat ein Buch darüber geschrieben, dass wir Menschen alle nur Maschinen sind, schöne, perfekte Maschinen, die durch sich selbst funktionieren. Ohne unsterbliche Seele, aber auch ohne selbständige Vernunft und damit auch ohne Aussicht auf Erlösung oder Freiheit. Gott, schreibt er, haben wir uns ausgedacht, um uns gegenseitig Angst zu machen. Religion sei demnach quasi gesundheitsschädlich. Aber auch mir gibt er eins auf den Deckel und behauptet, das Gehirn sei nur eine erleuchtetes Räderwerk, mehr nicht. Ist das nicht eine witzige Vorstellung? Wer weiß, vielleicht ist sie ja auch wahr. Ich kann Ihnen das Buch gern mal ausleihen.«
    Kichernd stieß sie mit ihren Schuhspitzen gegen eine der Ziegelscherben und kickte sie über den Hof. Dann trollte sie sich ins Haus, ohne abzuwarten, ob und wie Hochstettler reagierte.
    Kurz danach ging die sechswöchige Meidung Sarahs zu Ende. Vor der versammelten Gemeinde fiel sie auf die Knie und versprach Besserung. Mit offenen Armen wurde sie wieder aufgenommen. Die Sünde verachte man, nicht die Sünderin, sagte der Älteste und legte ihr seine Hand auf den Kopf. Beim anschließenden Essen erfuhr sie, dass Ruben sich mittlerweile mit einem Mädchen aus der Gemeinde Zweibrücken verlobt hatte. Wortlos nahm sie es zur Kenntnis, nur ihre in den Ausläufern bläulichen Augenlider flatterten etwas. Nach spätestens zwei Tagen begriff

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