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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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haben und unser Land lieber heute als morgen einsacken würde, weiß doch jeder.«
    Die Soldaten nickten.
    »Höchstwahrscheinlich ist der da«, sagte der sich wie eine satte Katze über die wulstigen Lippen leckende Beamte und zeigte mit dem kleinen blauen Buch auf Samuel, »einer ihrer Spione und ein Konspirateur noch dazu.«
    Sichtlich beeindruckt rissen die Soldaten die Augen auf.
    »Entschuldigung, aber ich vermute, es handelt von Tieren. Wenn Sie weiter nach hinten blättern, dann werden Sie das Bild …«
    Samuels höflicher Einwand wurde barsch unterbrochen:
    »Es weiß doch jeder Mensch, dass die Franzosen allesamt ausgepufft und verschlagen sind. So ein Bildchen ist doch nichts als Tarnung.«
    Ausgiebig kratzte der Beamte einen Flohstich direkt am Rand seiner Perücke, wobei er eine Eingebung hatte.
    »Jetzt, Hochstettler, jetzt haben Sie sich selbst verraten, denn mit einem Tier, genauer gesagt, einem Pferd, ist schon mal eine Stadt erobert worden. Ob es die Franzosen oder andere Halunken waren, erinnere ich mich nicht mehr genau, aber es war so. Das Buch ist jedenfalls konfisziert.«
    Triumphierend schob er das blaue Bändchen in seine Tasche, spuckte, weil die ganze Anspannung von ihm wich, in hohem Bogen, wie es sonst nur die Soldaten taten, auf den Boden und gab Zeichen zum Aufbruch. Über die Schulter brüllte er:
    »Mit Ihnen, Hochstettler, sind wir noch lange nicht fertig! Darauf können Sie Gift nehmen. Wenn das stimmt, was ich vermute, haben die Herren Minister in Mannheim jetzt einen dicken Fisch an der Angel und den werden sie sich so schnell nicht wieder nehmen lassen.«
    Sobald die Staubwolke am Horizont verschwunden war, sattelte Samuel sein Pferd. Der Ritt ging geradewegs durch die Vorhölle. Dabei war ihm der Weg zu Noahs Hof vertraut und lieb. Wo sonst Finken, Drosseln und Lerchen hell singend aus den Hecken aufgeflogen waren, streckten jetzt Fratzen ihre Finger nach ihm aus, und Älbli hatte ihre liebe Not, ihnen zu entkommen. Steine am Rand lagen in seltsamen Ringen, die nur Hexen aufgeschichtet haben konnten. Der Spalt, wo am Horizont Wolken und Weg zusammenkamen, erschien ihm zu schmal, um hindurchzureiten. Kurz vor einer kleinen Anhöhe strauchelte sein Pferd, galoppierte dann los, ohne dass er ihm die Sporen gegeben hatte, ließ sich am Ende nur mit Mühe zügeln. Wovor hatte es sich erschreckt?
    Die Sonne trieb unentschlossenes, milchiges Licht über den Himmel, und gerade als das rote Dach des Hofes samt Schmiede darin auftauchte, spürte Samuel am hintern Rand seines Rachens etwas merkwürdig Störendes, fast wie eine Motte, die er verschluckt hatte und jetzt dort klebte. Bis auf weiteres rettete ihn Noahs schraubstockfester Händedruck und der Gestank nach dem kleinen Terrier, der seinem Freund immer anhaftete.
    Die erste Stunde am gescheuerten Tisch in der Stube sprachen sie über den Regen, der in der vergangenen Woche gerade zur rechten Zeit gekommen war. Nicht zu viel und nicht zu wenig, und der gleichmäßig eingesickert war. Auch dass es nachts nicht mehr kalt wurde, fand lobende Erwähnung. Der Klee, den sie im Herbst gesät hatten, spitzte bereits heraus, und zwar, in solch frischem Grün, dass es ein Balsam fürs Auge war.
    »Dem Herrn sei es gedankt!«
    »Dem Herrn sei es gedankt!«
    »Selbst drüben auf meinem schlechtesten Acker, du weißt schon, dem sandigen hinterm Berg, wo der kleine Birkenwald steht, gedeiht er, weil ich ihn mit Jauche gedüngt habe.«
    Samuel nickte. Wie er sammelte auch Noah seit einiger Zeit den Stallmist ein. Die kleinen runden Augen seines Freundes versanken nahezu in den Schluchten zu beiden Seiten der wulstigen Nase. Immer häufiger hintereinander räusperten sich die beiden und schnäuzten ausgiebig in ihre Taschentücher, denn beim besten Willen fiel ihnen nichts mehr ein, was sie noch zum Wetter oder Zustand ihrer Felder und Wiesen hätten sagen können. Glücklicherweise fiel Noah doch noch eine Neuigkeit ein.
    »Im Mai, wenn wir den Klee mähen, werde ich Großvater. Rosie, meine älteste, du weißt, die, die in die Mannheimer Gemeinde geheiratet hat, bekommt ihr erstes Kind.«
    »Das ist schön, sehr schön sogar. Dem Herrn sei gedankt.«
    »Dem Herrn sei gedankt.«
    Tonlos klangen die Bierkrüge gegeneinander, als sie anstießen. Noch während er trank, fiel Samuel auf, dass das Lächeln aus dem Gesicht seines Freundes so rasch davonflog wie eine Schwalbe nach der ersten kühlen Septembernacht und seine schrankbreiten Schultern nach

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