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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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Hochstettler, dass mit seiner Tochter etwas nicht stimmte. Zuerst nahm er an, sie sei einfach bockig. Doch bald merkte er, dass sein zwitschernder kleiner Vogel so gut wie kein Wort mehr herausbrachte.

Kapitel 8
    D ie ganze vierte Märzwoche hing der Nebel so tief, dass alle Kirchtürme zwischen Bolanden und Allisheim verschwanden. Das sei ein Zeichen, raunte Joseph, als er den Morgenkaffee brachte. Wofür, fragte Georg von Geispitzheim, zerfetzte einen Hühnerschenkel und fütterte Rollo. Joseph warf beide Arme theatralisch in die Höhe und blieb eine Antwort schuldig. Genau in dieser Woche wurden zwei Entdeckungen gemacht und eine wichtige Entscheidung getroffen.
    »Keiner verlässt den Raum!«, bellte der kurfürstliche Beamte, als er wieder an der Haustür stand. Hinter seinem runden Kopf unter einer speckigen Perücke und einem schwarzen Dreispitz glotzten dieses Mal vier Soldaten. Fluchend drehten sie in der Küche die Tiegel und Töpfe um, traten mit ihren Stiefeln gegen Truhen, zerrten die blass blaue Decke heraus, schlitzten in den Schlafkammern die Matratzen auf und stocherten mit ihren Bajonetten wichtigtuerisch im Stroh herum. Mit zusammengepressten Lippen schaute Samuel dem Treiben zu und zwang sich zu schweigen. Golgatha war also noch nicht erklommen, und er vergab seinen Peinigern, wie auch der Herr seinen Peinigern vergeben hatte. Uri und die Mägde mit dem brabbelnden Jakob zwischen ihren Schürzen standen abseits in einer Zimmerecke und beteten. Nur Sarah schien keine Angst zu haben. In sich versunken und verriegelt für die Außenwelt saß sie an ihrem Spinnrad, ließ den Faden durch die Finger gleiten, arbeitete mechanisch. Selbst die frechen Blicke der Soldaten glitten an ihr ab. Samuel wünschte, dass sie wenigstens jetzt weinen oder jammern würde, wann wenn nicht jetzt konnte sie aus ihrer Versteinerung aufschrecken.
    Nachdem die Soldaten das Haus durchgekämmt hatten, stapften sie übel gelaunt über den Hof. Mit eingekniffenem Schwanz verzog sich Bärli in seine Hütte, ohne dass er Samuel aus seinen gekränkten Hundeaugen ließ. Die Grube wurde umzingelt, als wäre sie ein feindliches Munitionsdepot.
    »Was ist da drinnen?«
    »Mist von meinen Kühen, Pferdeäpfel sind auch dabei.«
    Umständlich schrieb der Beamte etwas in sein Buch, nagte an der dicken Unterlippe, wünschte, er könnte einen der feinen Herrn im Ministerium fragen, ob solche Gruben generell und bei diesen Täufern im Speziellen erlaubt waren. Noch verfänglicher erschien ihm das Verhalten dieses Hochstettlers, weder bettelte er noch zeterte er, nicht einmal Bestechungsgeld bot er ihm an, dabei schien er alles andere als arm zu sein. Kein Wunder, dass der Kurfürst diese Leute kleinhalten wollte. Grübelnd starrte er in die braune Brühe, die aus dem Misthaufen heraussuppte und fast schon die Einfassungsmauern der Grube erreichte. Es wäre gut, dachte er, wenn seine Frau die Ordnung und Sauberkeit auf diesem Hof sehen könnte und sich eine Scheibe davon abschneiden würde
    »Ausschaufeln, aber macht schnell.«
    Der Befehl des gedrungenen Mannes kam so fahrig, dass die Soldaten nicht gleich spurten und er ihn bellen musste. Samuel wurde angewiesen, Schaufeln zu bringen. Fast eine Stunde brauchten sie, dann hatten sie die Grube nahezu geleert und den Inhalt im Hof aufgeschüttet. Den letzten Rest kratzten sie mit einem so widerlich metallischen Knirschen heraus, dass Samuel ein Schmerz in den Hinterkopf sprang und sich von dort sein Rückgrat herunter nagte. Ohne die Lippen zu bewegen, sagte er die Märtyrerlieder auf, die er auswendig konnte. Unterdessen schob der Beamte, verärgert, weil wieder nichts gefunden worden war, die Unterlippe vor, fixierte Samuel, klopfte sich mit der Kladde unschlüssig gegen seinen Rock und überlegte die nächsten Schritte. Dieser Hochstettler war verdächtig, sehr verdächtig. Wer einmal ausländische Flüchtlinge beherbergt hatte, würde es wieder tun. Nur jemand, der außerdem noch verschlagen war, schaffte es, im Gefängnis Haltung zu bewahren. Vermutlich plante er zusammen mit seiner Täuferbrut eine Verschwörung gegen die Obrigkeit. Mannheim wartete auf Nachricht. Im Stall stampften die Kühe, in zwei Stunden würde es dunkel sein. Ein unangenehmer Auftrag, aber ein wichtiger, seine Beförderung hing wahrscheinblich davon ab.
    Bekümmert darüber, dass die Mistbrühe sinnlos im Hof versickerte, sah Samuel zu, wie der Beamte als nächstes die Soldaten die Stiege zum Heuboden

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