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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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hochscheuchte. Unter ihrem Gewicht knarzten die Sprossen, was das Nagetier in Samuels Schädel und Wirbelsäule noch gefräßiger machte. Durch die Decke waren dumpf ihre hin und her laufenden Stiefel zu hören, und ihre Sohlen verdunkelten die Astlöcher, durch die sonst ein wenig Licht nach unten fiel. Da nicht mehr viel Stroh und Heu vorrätig waren und in kürzester Zeit alles durchwühlt war, gaben sie ihre Suche bald auf und polterten wieder herunter. Schulterzuckend erstatteten sie Bericht. Die Nervosität des Beamten nahm sichtlich zu.
    Während, so vermutete Samuel, drinnen im Haus seine Tochter weiter so ruhig wie ein lebloser Schatten hockte. Wenn das nun stimmte, was diese Person von Maschinenmenschen erzählt hatte, und seine schöne fröhliche Tochter jetzt so ein seelenloser Apparat geworden war? Andere aus der Gemeinde waren auch schon gemieden worden und doch die alten geblieben. Samuel fragte sich, ob er sich etwas vorzuwerfen habe. Es wäre für ihn, dessen Großvater bei der großen Spaltung vor fünfzig Jahren höchstpersönlich als einer der Ersten Jakob Ammanns strengem Kurs gefolgt war, unmöglich gewesen, die Meidung seiner Tochter zu verhindern. Er hätte sie nicht einmal verhindern wollen. Denn Sarah hatte eindeutig gegen die Ordnung verstoßen. Aber ihr Schweigen quälte ihn doch sehr. Er stellte sich vor, was Johanna sagen würde, wenn sie aus dem Himmel auf ihr trauriges, stummes Kind herunterblickte. Jetzt pochte es auch an seinen Schläfen, als wenn dort Hafer gedroschen würde.
    Mit hängenden Schultern folgte Samuel den Soldaten, die inzwischen in die Scheune eingedrungen waren. Sie warteten nicht einmal einen Befehl ab, sondern rissen sofort die drei Säcke auf, die noch an der Wand lehnten. Als die kleinen Körner herausrieselten, stürzten Tränen in seine Augen. Schnell zog er seinen Hut tief ins Gesicht und dankte dem Herrn, dass er von den ursprünglich dreizehn Säcken Klee schon zehn mit dem Wintergetreide eingesät hatte.
    Schließlich machten sie auch noch das Vieh konfus, drängten sich zwischen die behäbigen Leiber, schubsten sie hin und her, als wären sie Sauerkrautfässer, drückten rücksichtslos gegen ihre Euter, während sie den Mist durchwühlten. Voller Furcht verdrehte Annie, die trächtige Kuh, die Augen, bis das Weiß so weit hervorquoll, dass das Dunkle verstört und schaurig am äußersten oberen Rand glänzte. Das machte Samuel, der schon fünf Kälber aus Annie herausgezogen und ihr hinterher jedesmal zur Belohnung eine Brotscheibe mit Schmalz und Kümmel gegeben hatte, so zu schaffen, dass ihm kein einziges Märtyrerlied mehr einfiel.
    Schamlos leerten sie in der Milchkammer die Bottiche und Eimer aus. Am Boden bildeten sich große Lachen, die langsam bläulich verstickerten. Eigentlich hatte Samuel heute bei Noah vorbeireiten wollen, um dies und das und auch den Bau einer Kutsche zu bereden. Die Goldmünzen in seiner Schublade häuften sich trotz der Pacht und des Schutzgeldes. Er würde, so hatte er beschlossen, erneut investieren, zwei weitere Äcker pachten, mit dem zusätzlichen Klee ein Dutzend mehr Kühe und Rinder füttern, von seinem Nachbar eine billige, weil trockene Wiese übernehmen, die er bewässern und aufpäppeln würde. Zwei Äcker pachten, eine weitere Wiese bewässern. Diese kurzen Sätze ließen sich auch wie ein Gebet sprechen, immer wieder nacheinander, genug, um beherrscht zu bleiben. Wenn er durch die Tür schaute, konnte er sehen, wie Uri den Mist wieder in die Grube zurückschaufelte. Die Schlampe von der Brennerei konnte er als zusätzliche Fütterung hernehmen, mehr Vieh gab mehr Mist, gab bessere Ernten, gab mehr Gotteslob.
    »Schau einer her. Was der Gauner da ganz tief unterm Zaumzeug versteckt hat!«
    Vor Begeisterung kippte die Stimme des Beamten. Endlich hatte er einen Fund gemacht. Die Soldaten feixten, stellten sich breitbeinig, die Bajonette neben sich hin. Endlich. Ein Buch. Bücher, das hatte der Beamte während seiner fünfzehn Jahre im Dienst des Kurfürsten gelernt, waren immer verdächtig. Mit spitzen Fingern, als ob es jeden Moment explodieren könnte, nahm er sein Beweismittel in die Hand. Da Samuel nie erfahren hatte, was tatsächlich in dem Buch stand, hielt auch er den Atem an, während der Beamte mit gerunzelter Stirn vorgab zu lesen.
    »Es ist in Französisch«, verkündete er schließlich und blickte vielsagend in die Runde. Für ihn war die Sache klar.
    »Dass die Franzosen in der Pfalz schlimm gewütet

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