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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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Zimmer tänzelte. Ein sonniges, selbstverliebtes Lächeln auf den Lippen und mit schwarzen Augen, die nicht stillstanden.
    »Mein Sohn, David Grünstein.«
    »Welche Ehre, welche Ehre!«
    Weltmännisch verbeugte sich der junge Herr, mit einem Blick die Kreditwürdigkeit und Kaufkraft des Besuchers in den tristen Bauernkleidern abschätzend. Dass das Gesicht des Alten sich schloss und plötzlich steinern wirkte, entging Samuel nicht. Auch der muss sich Sorgen machen, wie es weitergeht, dachte er bei sich, als er Älbli eine halbe Stunde später durch die schmutzigen Gassen der Stadt zum Tor hinausführte. Kein Wunder, David Grünstein hatte seidene Hosen getragen, eine vanillegelbe Weste und eine gepuderte Perücke. Ein aufgetakelter Hofgalan, der seine Herkunft wie ein verschwitztes Hemd abstreifen wollte. Einer, der bestimmt gern mit aalglatten Sätzen mit dem Fräulein von Geispitzheim über den Wettlauf um die Welt plauderte. Aber diese Bagage würde er, Samuel Hochstettler, bald hinter sich lassen. In der Innentasche seiner Jacke steckten steif die Papierbögen, die ihm der Nassau-Weilheimsche Hofjude mitgegeben hatte, und schabten angenehm durch das Hemd hindurch an seiner Brust. Samuel schnalzte mit der Zunge und ließ sein Pferd antraben. Zum ersten Mal seit Langem spürte er wieder so etwas wie Zuversicht, fast sogar ein Gefühl von Vorfreude. Dabei trug ein ungestümes Aprilwetter neue Schauer von Westen her, und es regnete so schräg, dass sein Hut keinen Schutz mehr bot. Als er zu Hause absaß, schleckte er mit der Zunge dicke Tropfen von seiner Oberlippe. Bärli rannte ihm entgegen, um ihn stürmisch zu begrüßen, drückte seine Schnauze in die feuchten Knie seines Herrn. Samuel musste lachen und rieb sich im struppigen Fell die Hände trocken. Der Geruch nach gekochtem Fleisch und Kraut weckte seine Lebensgeister und zielstrebig öffnete er die Haustür. Es war Zeit, mit Sarah und Uri zu sprechen.
    Natürlich gab es Mittel und Wege, das wusste Charlotte auch. Die Zofen ihrer Mutter würden am ehesten Bescheid wissen, an wen man sich bei solchen Problemen wenden musste. Vorerst versuchte sie es mit Treppensteigen. Zügig von der Küche im Gewölbekeller die steinerne Spindel hoch, dann über den langen Flur und die steile Stiege des hinteren Treppenhauses bis in den kleinen Turm hinauf. Hinunter galoppierte sie. Da sie allerdings die Höhe und Abnutzung der Stufen im Schlaf kannte, rutschte sie nie wie beabsichtigt aus, um Hals über Kopf und möglichst ein ganzes Stockwerk tief zu stürzen, sondern bekam nur Seitenstechen. Hin und wieder begegnete ihr ihr Vater, schlurfend im giftgrünen Schlafrock. Überrascht hob er die Hand, winkte dann aber freudig. Im ersten Moment wusste er sicherlich nie ganz genau, wer die große junge Frau war, die wie ein seltenes Tier aus einer Menagerie durch sein Haus lief.
    Einmal, als Charlotte besonders schnell um die Ecke kam, stießen sie beinahe zusammen. Georg von Geispitzheim fasste nach seinem Wiesel und fragte seine Tochter unbeholfen nach dem Wetter. Gerührt umarmte ihn Charlotte, was ihn gänzlich verwirrte, sodass sie die Peinlichkeit schnell überbrückte, indem sie hastig die Saucenflecken von seinem Revers rubbelte. Danach gab Charlotte die Versuche auf, durch Treppensteigen und eventuelles Treppenherabstürzen ihre Schwangerschaft zu beenden.
    Stattdessen las sie nochmals von vorne bis hinten alles, was sie von La Mettrie besaß, das Buch über die Maschinennatur des Menschen und das andere über sein fragiles Glück. Das lenkte sie so von ihrem eigenen Unglück ab, dass sie sich dabei ertappte, wie sie sowohl Felix als auch Hochstettler mit lauter Stimme die scharfen Messer unter die Nase hielt, die sie sich aus der Argumentationsschublade des spleenigen Franzosen lieh. Eine Weile tat das gut. Dann überkam sie wieder das Gefühl der Einsamkeit und gelichzeitig der Sehnsucht nach Sarah und der Hochstettlerschen Küche. Würde sie dort sitzen, umarmt von den blinkenden Tiegeln und Kannen, dann, so glaubte sie, wäre alles weniger schlimm. Selbst Hochstettler und sein Bart ließen sich ertragen. Und es fiel ihr ein, wie er Madeira gestreichelt und schließlich geheilt hatte.
    »In Kaiserslautern gibt es eine Person, die in solchen Fällen hilft«, sagt Jeannette.«
    Geschäftig zog Amalia von Geispitzheim ein mit Perlmuttintarsien verziertes Schublädchen ihres Sekretärs auf, durchsuchte es hastig, öffnete ein nächstes, ohne das erste zu schließen.

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