Der elektrische Kuss - Roman
Dabei klimperten die Perlenschnüre an ihrem Kleid, und feiner Puder rieselte um sie herum zu Boden. Sie war eine Frau, die schon immer sentimentale Affekte oder gar Hysterie als unklug abgelehnt hatte. Trotzdem überraschte es Charlotte, wie nüchtern ihre Mutter mit der Tatsache umging, dass ihre unverheiratete Tochter ein Kind erwartete. Allerdings sprach es erneut für ihre Effizienz, dass sie keine Zeit damit verschwendete, nach dem Vater zu fragen.
»Ist so etwas gefährlich?«
Amalia von Geispitzheim zögerte mit der Antwort keine Sekunde.
»Ja, mein Kind, das ist es. Wenn was schiefgeht, bist du mausetot. Allerdings hat Jeannette bereits zwei Damen gedient, die es bestens überstanden haben. Ich würde sagen, die Chancen stehen 60 zu 40, dass du zwei Tage später wieder tanzt.«
»Und was würden Sie an meiner Stelle machen?«
»Ach Gott, Charlotte, welche Frage. Ich wäre natürlich klüger gewesen und hätte mich beizeiten nach einem warmen Nest für mein Kuckucksei umgeschaut. Aber seien wir realistisch, das kriegst du jetzt nicht mehr hin.«
Dabei blickte sie ungeniert auf die Nase ihrer Tochter, um deutlich zu machen, warum solch eine kleine, aber eilige weibliche Trickserei nicht klappen konnte. Charlotte nickte, auch sie machte sich keine Illusionen.
»Paris, du könntest nach Paris gehen. Da ist man großzügiger mit Kindern der Liebe. Aber dazu brauchst du Geld, ziemlich viel jedenfalls.«
Sofort machte sich Amalia von Geispitzheim wieder daran, ihren Sekretär zu durchkämmen. Wobei sie jetzt die Schubladen ganz herauszog und auf dem Fußboden stapelte, ihre Hand bis zum Ellbogen in die dunklen Schlunde hineinschob und mit leicht verzerrtem Gesicht so lange fingerte, bis sie endlich eine kleine Schmuckschatulle herausbeförderte. Als ob es nur ein Apfel wäre, legte sie sie Charlotte in den Schoß.
»Fahr damit sofort wieder zurück, denn wenn es auf pfälzischem Grund ist, kann sein Sohn keine Ansprüche mehr darauf erheben.«
»Sein Sohn?«
»… hat sich bereits hier eingenistet und wittert Morgenluft. Ich habe es dir doch schon gesagt, der Fürst macht es nicht mehr lang.«
»Und Sie, Mutter? Was wird dann mit Ihnen?«
»Was meinst du, was ich die letzten Jahre inmitten dieser Langweiler gemacht habe, nur ausländische Zeitungen gelesen und die Dumpfbacken zum Narren gehalten?«
Höhnisch lachte sie auf, und Amalia von Geispitzheims Gesicht war fast so schön und lebendig wie vor zwanzig Jahren. Dann ging sie erstaunlich behände auf die Knie, beugte den Kopf, sodass, als sie weitersprach, ihre Worte zu den Wollmäusen unter den Sekretär schlüpften.
»Natürlich habe ich Zeitung gelesen, vor allem die Meldungen, auf die es ankommt. Kriegsanleihen, Erzvorkommen, Aktienanteile…«
Die nächsten Worte konnte Charlotte überhaupt nicht mehr verstehen, denn der sorgfältig frisierte Kopf ihre Mutter steckte inzwischen fast schon in dem Spalt zwischen Parkett und Unterboden des Schreibschrankes.
»… mit hohen Renditen investiert. Ach ja, da steckt es.«
Sie zog ein Bündel Dokumente aus dem Versteck heraus, hielt es triumphierend hoch und fächerte sich damit zu, als ob sie ganz vorne an der Balustrade ihrer Loge im Theater säße. Charlotte war beeindruckt. Die Intelligenz ihrer Mutter hatte Früchte getragen, was sie von ihren eigenen Fähigkeiten und Anstrengungen bislang nicht sagen konnte. Sie würde wohl immer in ihrem Schatten stehen. Schlecht war ihr ohnehin auch noch. Jedenfalls schloss sich in ihrem Magen wieder ruckartig eine Faust. Ihr Dank, als sie auch noch die Papiere in Empfang nahm, hörte sich dementsprechend kleinlaut und verschluckt an.
»Für die Sache in Kaiserslautern müsstest du wahrscheinlich nicht mehr als drei, vier Gulden bezahlen. Wenn du dich aber für Paris entscheidest«, sagte Frau von Geispitzheim, und ihre grauen Augen funkelten unweigerlich animiert, »dann reicht das über ein Jahr, um standesgemäß zu leben. Ach, da fällt mir der Duc de Garmont oder so ähnlich ein, der Fürst ist um drei Ecken mit ihm verwandt. Angeblich rennt der jeden Donnerstag in einen der Salons, die dort jetzt so in Mode sind. An den könnte ich Empfehlungsbriefe für dich schreiben. Charlotte, stell dir vor, du hättest deinen eigenen Salon und würdest tout Paris elektrisieren! Sobald der Fürst unter der Erde ist, käme ich nach. Wir beide könnten …«
»Ach, Mutter, was wir alles könnten.«
»Gib mir Bescheid, hörst du! Aber wenn du das mit
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