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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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und sich die Leute vom Leib zu halten.
    Wenn sie nicht kochte, nähte sie in ihrem Geist ununterbrochen an der Decke für ihre Mitgift. So dass die Finger ihrer rechten Hand im Gegensatz zu denen der linken immer etwas schweißig waren. Kleine feine Stiche. Fest, aber nicht zu fest gezurrt, denn der Stoff, das hatte ihr die Mutter doch immer eingeschärft, durfte sich auf keinen Fall verziehen oder wölben. Und die Nähte mussten schnurgerade verlaufen, den schmalen Weg der amischen Täufer beschreiben. Zwei Rauten, drei Rauten … jawohl, sie würde wieder auf diesen Weg zurückfinden. Aber dieser Weg, wisperte sich Sarah lautlos zu, führte übers Meer nach Amerika. Ob er für sie leichter zu gehen war als der bisherige in der Pfalz, konnte sie sich beim besten Willen nicht beantworten. Was dort im neuen Jerusalem auf sie wartete, wagte sie sich erst recht nicht vorzustellen.
    Besser sie stickte und zählte Stiche und Rauten. Damit nicht mehr das Gesicht des vor Zorn bebenden Ältesten vor ihr auftauchte. Aber auch die braunen Locken und den lachenden Mund Rubens versuchte Sarah, so zu verscheuchen. Während die blassblaue Decke in der Reisekiste ihres Vaters lag und die besten seiner Hämmer, Zangen, Meißel und Sägen einhüllte. Nur einmal, als Jakob schlief und sie sich unbeobachtet fühlte, kühlte sie ihre nervösen Hände im Fahrtwind und spähte dabei in die Strömung des Flusses. Zuerst erschrak sie, aber als sie sich vergewisserte, dass wirklich niemand in der Nähe stand, schaute Sarah wieder ins Wasser und vertiefte sich in den Anblick der Wellen. Sie zitterten, sie hüpften, dann tatsächlich, Sarah hielt den Atem an und sah es ganz deutlich. Die Wellen tanzten. Da kam ihr zum ersten Mal der Gedanke, dass noch nicht aller Tage Abend war, sondern die Welt draußen noch voller Überraschungen für sie steckte.
    Silberner Dunst begleitete sie fast zwei Wochen lang. Er schob alles, was links oder rechts des immer breiter und brauner werdenden Flusses passierte und zu sehen war, noch weiter von ihnen weg. Sodass die drei ihren Abschied nehmen und ihr Heimweh und die Sehnsüchte gut verpacken und verschnüren konnten. Als sie Jahre später an ihre lange Reise zurückdachten, konnten sich weder Charlotte von Geispitzheim noch Samuel und Sarah Hochstettler an die lange Fahrt auf dem Rhein erinnern. Auch nicht daran, dass, je weiter sie nach Norden kamen, die schroffen Felsen verschwanden, die Weinberge und Burgen, und das Land danach immer flacher und eintöniger geworden war.
    Der Einzige, der hellwach und guter Dinge war, war Uri. Er staunte die steinernen Brücken an und die Türme der großen Kathedralen, die langsam auftauchten und ebenso wieder verschwanden. Wie ein Hündchen lief er den Schiffsleuten hinterher, fragte sie aus, kindlich, neugierig, aufgeregt. Er ließ gern alles hinter sich, vor allem seine Angst, doch noch zum kurpfälzischen Militärdienst eingezogen zu werden. Heimlich schaute er auch immer wieder das Fräulein an, glücklich darüber, jetzt immer in dessen Nähe zu sein.
    Rotterdam änderte alles schlagartig. Der Lärm rüttelte sie durch und durch. Keiner von ihnen hatte je solchen Lärm um sich herum erlebt. Nicht einmal Charlotte, die schon dreimal in Kaiserslautern und einmal in Mannheim gewesen war. Aber das waren im Vergleich dazu schlafende Dörfer gewesen. In dem Moment, in dem sie einen Fuß auf den Hafenboden setzten, spürten sie Rotterdam bis in die Knochen. Riesige Fässer rollten donnernd über das Kopfsteinpflaster. Hunderte Pferdehufe schlugen im Sekundentakt, und Wagenräder rumpelten. Vögel, die sie noch nie gesehen hatten und die, wie man ihnen sagte, Möwen hießen, kreischten bedrohlich über ihren Köpfen. Kisten und Säcke landeten von den Schiffen auf Wagen und von Wagen wieder auf Schiffen. Männer hievten sie auf die Schultern und schrien sich dabei Laute in einer kratzigen Sprache zu, die allein schon genügte, um die Pfälzer schreckhaft zusammenzucken zu lassen.
    Sarah griff hastig nach Charlottes Hand, als zwischen den vielen blonden und rothaarigen Menschen die ersten mit dunkelbrauner Haut und ölig schwarzen Augen auftauchten und in eher singenden Sprachen miteinander redeten.
    »Aus Japan?«
    »Nein, noch woanders her. Ich glaube, die holländische Kolonie in Südamerika heißt Guyana.«
    »Sind diese Leute … katholisch oder richtige Christen?«
    »Weder noch. Die haben eher nichts mit Christus am Hut. Außer man hat sie mit Gewalt

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