Der Elfenhuegel
schüttelte unmerklich ihren Kopf und zwinkerte ihm zu, dann wandte sie sich wieder dem Salat zu.
Gloria schien gerade etwas sagen zu wollen, drehte sich statt dessen dem Kochtopf zu und sagte. »Nun gut… er hat kein Kostüm.«
Sean sprang ein. »Ich kann als Pirat gehen! Ich kann ein farbiges Tuch um meinen Kopf binden und meine Hosen in die Gummistiefel stecken, und ich kann einen von Dads Gürteln so tragen, und Gabbie kann mir mit Lippenstift eine Narbe malen. Bitte, Mom.«
Gloria schien den Tränen nahe zu sein, und Phil sagte ruhig: »Die Feier findet in der Schule statt. Sie werden beaufsichtigt, und er wird um neun zu Hause sein. Wie sieht’s aus?«
Gloria kämpfte innerlich mit sich. Etwas baute sich um sie herum auf, aber sie konnte nicht verstehen, was genau. Ihr Verstand sagte ihr, daß es keine wirkliche Gefahr bedeute, Sean an einer beaufsichtigten Schulveranstaltung teilnehmen zu lassen, aber ihr Magen, ihr Instinkt gaben ihr zu verstehen, es sei ein schreckliches Risiko. Dennoch konnte sie diese furchtbaren Ängste nicht in Worte fassen, so daß sie zuletzt nur mit verzerrtem und aschfahlem Gesicht nickte. Sean sprang schreiend vom Stuhl: »Danke, Mom!« und wirbelte durch die Tür.
Phil ging zu seiner Frau und umarmte sie. »Wir laden ihn auf unserem Weg ins Krankenhaus ab.«
»Und Jack und ich können ihn abholen«, schlug Gabbie vor.
Gloria legte für einen Moment ihren Kopf an Phils Schulter. Die jähe Erkenntnis überstieg ihre Auffassungsgabe: Etwas erschreckend Mächtiges bewegte sich durch die Nacht, etwas, das ihre Familie hereingelegt hatte. Sie wurden von uralten Mysterien, dunkler Magie und verlorenem Gold überwältigt, und von Kreaturen, die nicht von dieser Welt waren. Diese Kreaturen hatten einen ihrer Söhne mitgenommen. Und mit furchtbarer Sicherheit wußte sie, daß sie heute nacht den anderen verlieren würde. Aber sie wußte ebenfalls, daß sie nicht die Kraft zum Handeln hatte. Die Menschen um sie herum, die sie am meisten liebte, würden das alles niemals verstehen. Gloria schloß ihre Augen für einen Moment und sagte dann mit einem resignierten Seufzer: »Gabbie, nimmst du das Hühnchen heraus, wenn es fertig ist?
Ich denke, ich lege mich vor dem Essen noch ein wenig hin.«
11
Sean ging zwischen seinen Eltern aus dem Haus. Er gefiel sich in dem Behelfskostüm. Eine von Gabbies alten weißen Blusen hatte den richtigen Kragen, mit den aufgerollten Puffärmeln glich sie einem Piratenhemd. Seine Jeans steckten in seinen Gummistiefeln, und ein alter Gürtel von seinem Vater hing als Imitation eines Wehrgehänges über einer Schulter. In Piratenmanier hatte sich Sean ein rotes Tuch um den Kopf gebunden. Gloria öffnete die Autotür, sie sagte nichts, als sie ins Auto einstiegen, ihre Augen waren nur rot gerändert. Während des Abendessens hatte sie geschlafen, war aber aufgestanden, um ihren Mann und ihren Sohn zu begleiten. Sie sagte wenig, ermahnte Sean nur wiederholt, vorsichtig zu sein. Sean hörte nicht zu, denn er war zu sehr damit beschäftigt, aufzupassen, daß niemandem sein komischer Gang auffiel, denn in seinem rechten Stiefel hatte er den silbernen Brieföffner seines Vaters versteckt.
Unterwegs machte Phil einen kleinen Scherz, als wolle er Normalität erzwingen. Es fing wieder an zu regnen, und Phil sagte: »Du hättest dir eine Jacke mitnehmen sollen, mein Sohn.«
»Geht schon in Ordnung«, erwiderte Sean. »Es ist nur ein kurzer Weg von der Straße zur Aula, und ich warte drinnen, bis Jack und Gabbie mich abholen.«
»Okay, Pirat«, sagte Phil mit erzwungener Heiterkeit. Er fuhr auf den Bordstein vor der Grundschule und beobachtete, wie erst Gloria und dann Sean ausstiegen. Als er an seiner Mutter vorbeiging, griff sie nach ihm, und für einen angstvollen Augenblick befürchtete Sean, sie würde ihn ins Auto zurückdrängen. Statt dessen drückte sie ihn nur verbittert, schwieg die ganze Zeit, dann ließ sie ihn ohne ein Wort gehen, stand in dem trüben Sprühregen und beobachtete, wie Sean zum Hörsaal ging.
In einem plötzlichen Gefühl der Melancholie spürte Phil, wie eine Träne seine Wange hinunterlief, und das Gefühl überkam ihn, daß er Sean zum letzten Mal gesehen hatte. Er schüttelte die Empfindung ab, dachte, es läge an dem Streß und der Müdigkeit der letzten Woche, und nachdem Gloria wieder im Wagen war, fuhr er los.
Sean erreichte die Aula. Die anderen Kinder hatten sich schon aufgestellt. Es gab einige organisierte Aktivitäten,
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