Der Elfenhuegel
»Dein Leuchtender Mann, Sean. Der Amadan-na-Briona, der Anführer des Dunklen Volkes. Er ist der Kopf von dem, was die Schotten den Unseely Court nennen, die Bösen unter den Sídhe.«
Sean, der ganz verwirrt war, sagte: »Aber warum hat er Patrick genommen?«
Aggie beobachtete Barneys Gesicht, als dieser Sean und dann wieder sie ansah. »Weil sie eine boshafte und perverse Gesellschaft sind, Sean.
Das ist sicher, der Junge war ein Wechselbalg.«
»Ein Wechselbalg?« sagte Aggie. »Aber er ist im Krankenhaus.«
»Das ist nicht Patrick in dem Zimmer«, sagte Barney entschlossen.
Sean schaute zu Barney hoch, und Tränen traten dem Jungen in die Augen. Ein Gefühl der Erleichterung durchströmte ihn. Endlich hatte er jemanden gefunden, der verstand. Barney wußte, daß das Ding im Krankenhaus, das wie Patrick aussah, nicht Seans Bruder war.
Aggie stand auf. »Das ist alles zuviel für mich, Barney Doyle. Ich werde nicht hier rumsitzen und zuhören, als würden wir über Kidnapping reden.« Barneys Worte hatten sie offensichtlich durcheinandergebracht, und sie kämpfte um ihre Fassung. »Komm, Sean, ich denke, du solltest nach Hause gehen. Das Wetter schlägt um, also fahre ich dich.«
Sean stand auf und wollte zur Tür stürmen, aber Barney legte eine Hand auf seine Schulter und hielt ihn so zurück. »Nee, Junge, du würdest gut daran tun, zu gehen.« Barneys Augen schienen zu schimmern, als ständen ihm die Tränen fast in den Augen. »Es gibt nichts. Nichts, das du tun kannst. Es gibt keinen Weg, Patrick nachzusteigen.« Er wartete, bis Aggie ihre Börse und ihr Notizbuch zurückbekam, und öffnete ihnen die Tür. Nachdem sie durchgegangen waren, schloß Barney sie vorsichtig. Dann sagte er ruhig: »Wir leben nicht mehr im Zeitalter der Helden, Sean. Ist ’ne traurige Sache, zugegeben, aber es ist die Wahrheit.«
Sean dachte daran, wegzulaufen, aber Aggie hatte ihr Leben lang mit Jungen aller Größen und Temperamente zu tun gehabt und wußte einem solchen Impuls zuvorzukommen. Ruhig stieg er in ihr Auto und erlaubte es, nach Hause gebracht zu werden.
10
Sean saß brütend in seinem Zimmer, während die untergehende Sonne hinter dem alten Baum verschwand und tanzende Schatten auf die Wand warf. Seit er gestern von Barney zurückgekehrt war, befand er sich in stiller Verzweiflung.
Unten wurde die Tür geschlossen, und Sean sprang auf. Er lief die Diele und die Treppe hinunter zu seinem Vater. Phil schaute seinen Sohn an und lächelte. »Hi, Sportsmann. Wie läuft’s?«
Sean bemühte sich, möglichst sorglos dreinzublicken. Er umarmte seinen Dad kurz und landete dann seinen Wurf. »Mom läßt mich nicht zur Halloween-Feier heute nacht.«
Phil bewegte sich langsam auf die Küche zu. »Schau, es gibt noch mehr Feiern und… na ja, deine Mom ist in letzter Zeit ziemlich durcheinander.« Er hielt inne und studierte das Gesicht seines Sohnes.
Bei all seiner Sorge um Patrick hatte er Sean nicht ignoriert. Nach einem Moment sagte er: »Aber für dich war es ja auch kein Picknick, oder?«
Ein merkwürdiger Ausdruck huschte über Phils Gesicht, und er stieß die Tür zur Küche auf. Gloria und Gabbie bereiteten beide das Abendessen vor. Sie begrüßten sich, und Gabbie sagte: »Jack hat angerufen. Er ist auf dem Weg, mit einem Kater und so. Er wird in einer Stunde hiersein.« Jack hatte seine mündliche Prüfung am Freitag bestanden, was ihn zu einem Doktorkandidaten aufrücken ließ. Er hatte angerufen, um es ihr zu erzählen, und wollte sofort zurückkommen, doch Gabbie hatte ihn überredet mit seinen Kommilitonen zum Feiern auszugehen, auf eine Party, die dann sehr lange dauerte. So hatte Jack es nicht geschafft, vor Samstag nachmittag mit einer Schreibarbeit zu beginnen, die als erstes am Montag auf dem Schreibtisch seines Mentors liegen sollte. Deshalb stand es außer Frage, daß er samstags runter nach Pittsville fuhr. Gabbie wäre gern bei ihm gewesen, hatte es sich aber versagt, weil Gloria in einer derart schlimmen Verfassung war.
»Liebling, ich glaube, es ist schon in Ordnung, wenn wir Sean heute zu der Feier gehen lassen«, meinte Phil.
Glorias Kopf schnellte hoch, und sie hatte einen panisch-angstvollen Blick in den Augen. Bevor sie etwas erwidern konnte, sagte er: »Ihm geht es seit ein paar Tagen besser, und es würde ihm guttun, hier mal rauszukommen.« Sean warf Gabbie einen flehenden Blick zu, bat sie schweigend, nicht von seiner gestrigen Begegnung mit Aggie zu sprechen. Gabbie
Weitere Kostenlose Bücher