Der Elfenhuegel
ankommen mußte.
Mark hatte Aggie nicht erzählt, wo er war. Er hätte aus New York oder Buffalo anrufen können, oder aus Toronto. Er hätte eine Stunde vor diesem Mann ankommen können, sich ein Auto mieten und gerade ein paar Meilen vor ihnen sein, oder er könnte rasen, um sie zu überholen. Aber wie auch immer er kam, Mark hatte gesagt, daß es dringend notwendig sei, den Erlkönig-Hügel vor Mitternacht zu erreichen, dennoch sollte niemand wissen, daß er kommen würde.
Und ohne daß Mark etwas sagte, wußte Aggie, daß sein Leben in Gefahr war.
Und trotz ihres Versprechens, nichts über Marks Rückkehr zu sagen, hatte der Fremde ihren Willen bezwungen, hatte sie dazu gebracht, ihn abzuholen, sie erzählen lassen, was sie wußte, und ihm zu helfen, Mark zu finden. Jetzt wurde jeder Schatten zur Bedrohung, jede dunkle Stelle eine Androhung von Zerstörung.
Aggie dachte darüber nach, was Wissen bedeutete, und über die nie verstandene Weisheit, die den alten Geschichten innewohnt: »Ignoranz ist Glückseligkeit.« Für einen Farmersjungen war die Bedrohung eines Gangsters unwirklich, während sie bei einem Stadtbewohner Furcht entfachte. Derart war der Preis des Wissens. Jetzt wurden Drohungen, die Aggie noch vor ein paar Tagen als fantastisch und unmöglich abgetan hatte, zu einer greifbaren Gefahr. Sie fühlte sich so ähnlich wie der Farmersjunge, der sich plötzlich in einer Gasse wiederfindet, mit einem Gewehr, das von einem drogenverrückten Rauschgiftsüchtigen auf seinen Kopf gerichtet wird.
Aggie wünschte sich, sie hätte Gary aufspüren können, bevor sie nach Buffalo losfuhr, und ihm erzählen können, daß sie sich bei den Hastings treffen. Aber irgendeine Macht in dem Willen dieses Mannes hatte das verhindert. Sie entschloß sich, Gary anzurufen, sobald sie dort ankommen würden – angenommen, ihr Passagier würde es zulassen.
Sie schaute zu ihm rüber. Er hatte kaum ein Dutzend Worte zu ihr gesprochen, seit sie ihn auf dem Flugplatz gefunden hatte, und alle mit schwerem deutschen Akzent. Er sah aus wie ein kleinstädtischer Geschäftsmann, korpulent, kahlköpfig und trug einen recht billigen, ramponierten Anzug. Alles, was sie wußte, war sein Name, August…
irgendwas. Sie trat das Pedal weiter durch. Sie hatte Angst, denn neben der harmlosen Erscheinung des Mannes umgab ihn diese fremde Kraft, die sie die ganze Nacht gespürt hatte.
Aggie blinzelte mehrere Male und fragte sich, wo sie war. Dann sah sie den ersten Markstein, den Briefkasten von Lonny Boggs. Die Hastings wohnten zwei Farmen weiter oben. Sie nahm die erste Abzweigung in die Straße vorsichtig, aber als sie die zweite erreichte, wurde sie schneller. Sie sprach leise zu ihrem Fahrgast und sagte ihm, daß sie ihr Ziel beinahe erreicht hätten. Alles, was der Mann von sich gab, war ein halbes Grunzen, was ebenso ›gut‹ hätte bedeuten können.
Als Aggie aus der Kurve kam, erhellte ein Blitz die Straße.
Etwas kam aus dem Wald und sprang über die Straße. Für einen knappen Moment dachte Aggie, es sei ein Hirsch, denn sie hatte Geweihsprossen gesehen. Einen Moment später riß sie das Lenkrad heftig herum, denn die seltsame Kreatur hatte in der Mitte der Straße angehalten statt weiterzugehen. Das Auto schleuderte, und Aggie trat automatisch auf die Bremse, während ihr Fahrgast auf deutsch einen Ausruf des Erstaunens ausstieß. Plötzlich wirbelte das Auto herum, geriet außer Kontrolle, und Aggie versuchte vergeblich, es in die Fahrtrichtung zurückzubekommen.
Aggie kam es vor, als würde sich alles in Sekundenschnelle zur Seite bewegen. Eine Sekunde lang wurde, was auch immer sich auf der Straße befand, von den Scheinwerfern erhellt, und Aggie sah eine Figur, die auf einem Pferd saß. Als das Auto herumwirbelte, dachte Aggie kurz, daß Jack oder Gabbie im Regen ausreiten würden, dann, nachdem das Auto den Kreis vervollständigt hatte, konnte sie die Figur im Licht wieder sehen. Es waren weder Jack noch Gabbie. Das Pferd war unwahrscheinlich weiß, glühte beinah im Regen, die Mähne und der Schwanz flammten in goldenen Glanzlichtern. Und der Reiter war nicht menschlich. Direkt oben auf seinen Schultern ruhte ein Helm mit Geweihsprossen aus Elfenbein. Und durch das geöffnete Visier des Helmes beobachtete ein Antlitz mit unmenschlichen Zügen das aus der Kontrolle geratene Auto. Augen, die wie durch ein inneres Licht glühten, folgten den herumwirbelnden Spuren. Aggies Mund öffnete sich zu einem Angstschrei, eher
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