Der Elfenpakt
Göttergleich hätte er die prachtvolle Reise der Erde um die Sonne verfolgen können. Doch ob nun göttlich oder nicht, jener Anblick hätte nur wenig praktischen Nutzen gehabt. Er stellte den Fokus auf die Hauptstadt der Lichtelfen ein, folgte dem Flusslauf jenseits der Loman Bridge und verweilte einen Moment über der Palastinsel.
Dann stieß er hinab und drang in den Palast ein. Es war unglaublich. Es gab keinerlei Beschränkungen. Er konnte tatsächlich in den Palast hineinsehen! Er konnte jeden Flur und jedes Zimmer durchsuchen. Kein Geheimnis im gesamten Elfenreich war mehr vor ihm sicher. Grinsend vor Vergnügen, beobachtete er in der Küche, wie ein Koch Gemüse in einen Topf plumpsen ließ.
Was für ein Spaß das sein würde, wenn der Krieg erst einmal vorüber war. Er konnte jeden Feind ausspionieren, über alles Buch führen. Er konnte Verschwörungen vereiteln, ehe sie überhaupt begonnen hatten, den totalen, vollkommenen Gehorsam von jedermann sicherstellen, für alle Zeiten. Dieses unglaubliche Gerät hier gab ihm mehr Macht in die Hand, als jeder andere Kaiser in der gesamten Geschichte des Elfenreiches je besessen hatte. Oh, wie prächtig es ihm gehen würde, sobald der Krieg beendet war!
Und bis dahin würde es ein Leichtes sein, ihn zu gewinnen. Dies war eine taktische Waffe in höchster Vollendung. Keine Truppenbewegung des Feindes würde ihm verborgen bleiben. Es würde keine Entscheidungen des Feindes geben, in die er nicht eingeweiht war. Er konnte ganze Schlachten überblicken und seine eigenen Streitkräfte mit einer nie da gewesenen Genauigkeit platzieren. Er konnte seinen Sieg modellieren wie ein Künstler.
Hairstreak rief eine Ansicht nach der anderen auf – eine wahnsinnige Bilderreise, die ihn weit über die Grenzen des Elfenreiches führte, nach Haleklind, Borderland, Feltwell Spur, Graphium und Wallach und dann wieder zurück ins Reich, wo er die südlichen Provinzen und die Stadt Yammeth in Augenschein nahm. Und die großen Getreideanbaugebiete im Westen und den Landstrich der Schwerindustrie und Verladehöfe im Norden und dahinter. Dann ging es nach Osten, von Yammeth Cretch zu den öden Wüstengebieten von …
Hairstreak stutzte, hielt das Bild an und beugte sich vor. »Was ist denn das, Hamearis?«, fragte er, und sein Herz begann plötzlich zu pochen.
SIEBENUNDSIEBZIG
H enry schlug die Augen auf.
Er lag in einem merkwürdigen Bett in einem merkwürdigen Raum mit einer seltsamen Deckengestaltung, die die Illusion erzeugte, sich unter freiem Himmel zu befinden. Irgendwo spielte sanfte Musik, aber ein komischer Geruch nach Krankenhaus erfüllte die Luft. Was sollte er in einem Krankenhaus?
Er versuchte sich aufzusetzen, doch die Bettdecke um seinen Körper war so festgesteckt, dass sie ihn fixierte, als wären es Gurte. Er zerrte und zog daran, und während das Bettzeug sich langsam etwas löste, merkte er, wie schwach er sich fühlte. Er war bestimmt in einem Krankenhaus. Nur dass es hier nicht so aussah. Neben seinem Bett standen Gläser mit nebelhaften Dingern darin, die sich wanden und umherschwebten wie kleine Schnickschnack-Aliens für Kinder.
Vielleicht hatte ihn das Auto ja angefahren.
Henry versuchte ein zweites Mal sich aufzurichten und schaffte es diesmal, die Bettdecke ganz zu lockern. Er konnte sich daran erinnern, dass er nach Hause hatte laufen müssen, weil seine blöde Mutter nicht ans Telefon gegangen war. Und an die Autoscheinwerfer hinter ihm. Danach aber war … nichts.
Auf der einen Nasenseite spürte er einen dumpfen Schmerz und in einem Auge ein Stechen. Vielleicht war er hingefallen und mit dem Kopf aufgeschlagen?
Ihm gegenüber hing ein kleiner Spiegel an der Wand. Henry zog noch mal an der Decke und schaffte es schließlich, die Beine aus dem Bett zu schwingen. Bekleidet war er mit einer Art Seidenkittel, der den Hintern nicht bedeckte – er befand sich wohl doch in einem Krankenhaus? Nur wirkte das Bett nicht wie ein Krankenhausbett, und es gab auch keine Apparaturen oder dergleichen in dem Zimmer.
Er ging hinüber zu dem Spiegel. Von der Nase bis zum Augenwinkel klebte ein Verband. Ansonsten gab es ‚nirgends Anzeichen irgendeiner Verletzung, nicht einmal Prellungen. Außerdem fühlte er sich mit jeder Minute besser. Wenn er wirklich von einem Auto angefahren worden war, hatte er sich nicht viel getan.
Aber wo war er hier?
Unter dem Krankenhausgeruch lag noch ein anderer, der ihm merkwürdig vertraut vorkam. Es roch fast wie
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