Der Elfenpakt
Irgendetwas Furchtbares würde mit dem Elfenreich geschehen. Seine Panik war inzwischen so übermächtig, dass er nicht länger sitzen bleiben konnte. Er drückte sich aus seinem Sessel hoch.
»Henry …«, sagte Mr. Fogarty.
»Irgendetwas Furchtbares …«, begann Henry. Dann kehrten seine Erinnerungen schlagartig zurück, und er hielt mit weit aufgerissenen Augen inne. »O Gott!«, sagte er und stürzte urplötzlich zur Tür hinaus.
»Henry, was hast du denn?«, rief Madame Cardui hinter ihm her.
Aber Henry war bereits draußen und rannte, so schnell er konnte, zum Purpurpalast hinüber.
EINHUNDERTUNDDREI
E ine der besten Entscheidungen, die Pyrgus je getroffen hatte, war, Henry zum Ritter des Graudolch-Ordens im Rang eines Komturs zu schlagen. Dadurch konnte Henry sich im Purpurpalast frei bewegen, und oft salutierten die Wachtposten vor ihm.
Er stürmte den Korridor entlang, der zu den Kaiserlichen Gemächern führte, und verlangte keuchend: »Ich muss auf der Stelle zu Kaiserin Blue!«
Die Wachen salutierten vor ihm, aber der Anführer sagte entschuldigend: »Ich fürchte, sie ist nicht in ihren Gemächern, Sir.«
»Wo ist sie dann?« Henry hatte das schreckliche Gefühl, die Antwort bereits zu kennen.
»Kann ich nicht sagen, Sir. Sie wollte keine Eskorte.«
»Wann hat sie ihre Gemächer verlassen?«
»Vor einer ganzen Weile.«
Es war also wahr! »Wie war sie angezogen?«
Der Hauptmann zwinkerte irritiert. »Angezogen, Sir?«
»Angezogen, Mann … Was trug sie!«, schrie Henry ihm ins Gesicht. »Was hatte sie an?«
Der Hauptmann blickte ihn verwirrt an. »Ein hübsches Kleid, Sir. Als ginge sie zu einer Party. Nicht das, was sie sonst zu tragen pflegt.«
Großer Gott, er war zu spät gekommen! Seine Erinnerung war zu spät zurückgekehrt!
Der Hauptmann runzelte die Stirn. »Stimmt etwas nicht, Sir? Sir …«
Aber Henry rannte bereits den Flur entlang. Wie hatte das nur passieren können? Wie hatte er es zulassen können? Warum hatte er sich nicht früher erinnert? Inzwischen konnte Blue bereits verloren sein – für immer. Und es war alles seine Schuld!
Mit aller Macht schob Henry sämtliche Schuldgefühle und alles Selbstmitleid von sich. Vielleicht war es ja noch nicht zu spät. Aber er musste einen kühlen Kopf bewahren. Wenn er es schaffte, sie rechtzeitig einzuholen, konnte er die Katastrophe vielleicht noch verhindern, und wenn er sie zwingen musste. Er hatte sie schon einmal entführt, also konnte er es wieder tun. Sobald sie das Implantat los war, würde mit ihr alles wieder in Ordnung sein. Und sie würde alles verstehen.
Er ließ sich nur noch von seiner Intuition leiten, lief kreuz und quer durch Gänge, die er nie zuvor gesehen hatte. Obwohl er nicht wirklich intuitiv handelte, auch wenn es sich so anfühlte. Er wusste, dass er sich offenbar an die Anweisungen erinnerte, die die Dämonen ihm ins Hirn gebrannt hatten. Er wusste, wo Blue hinwollte, weil eigentlich vorgesehen gewesen war, dass er sie dorthin begleitete. Und wenn sein Implantat nicht entfernt worden wäre, dann hätte er genau das auch getan. Jetzt aber konnte er vielleicht erreichen, dass Beleth seine eigenen Pläne zum Verhängnis wurden.
Inzwischen hatte Henry den alten Palastteil erreicht und rannte, als wäre er selbst ein Dämon. Pyrgus hatte ihm irgendwann einmal erzählt, dass dieser Gebäudeteil aus einer Zeit stammte, als die Elfen das Reich noch nicht regierten. Dort gab es Räume, die seit Jahrtausenden nicht mehr geöffnet worden waren, und es kursierten Gerüchte über spukende Geister. Die meisten Palastbewohner mieden diesen Teil, doch Henry war viel zu verzweifelt, um sich vor irgendetwas zu fürchten.
Etwas in ihm hoffte darauf, dass es ihm vielleicht gelang, Blue einzuholen, bevor sie zu weit ging, doch als er den Flur mit der kleinen Tür erreichte, war immer noch nichts von ihr zu sehen. Ein schrecklicher Gedanke schoss ihm durch den Kopf. Was, wenn die Tür verschlossen war? Beleths Dämonen hatten Blue den Schlüssel gegeben – aus dämonischer Sicht benötigte Henry ja keinen eigenen, weil er sie begleiten würde. Aber jetzt … Was sollte er tun, wenn sie die Tür hinter sich verschlossen hatte?
Henry bremste abrupt ab. Die Tür war tatsächlich zu, aber als er die Klinke herunterdrückte, stellte er fest, dass sie nicht abgeschlossen war. Er stöhnte leise auf vor Erleichterung und stürmte die schmale Wendeltreppe hinunter.
Doch das Gefühl der Erleichterung war nur von kurzer
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