Der Elfenpakt
rasch beiseite. Größenzauber hin oder her, darunter war er immer noch derselbe gebrechliche kleine Mann. Sie hatte absolut nichts zu befürchten.
Memnon goss den flüssigen Inhalt der ersten Phiole – war es Wasser? – in die Kupferschale, dann öffnete er die zweite. Sogleich erfüllte der starke Geruch von Muskat den Raum; nur dass es sich bei diesem Gewürz nicht um Muskat handelte. Blue erkannte es sofort: Spuren von Zitrusfrüchten und ein starker Anteil Moschus, der mit einer seltsamen Fäulnisnote einherging. Der Gewürzmeister leerte die Phiole in die Flüssigkeit und verrührte alles mit einem Spatel. Er warf einen Blick zurück zu Blue.
»Trommelschlag bitte, Majestät.«
Blue zuckte leicht zusammen und begann. In einer einzigen raschen Bewegung stürzte der Gewürzmeister das Gebräu hinunter, dann betrat er das Labyrinth.
VIER
A uch wenn er es nicht zugeben wollte: Pyrgus hatte Angst.
Als Kronprinz war es ihm nie gestattet gewesen, die Stadt Yammeth zu besuchen – eigentlich hatte er das gesamte Gebiet von Yammeth Cretch nie betreten dürfen –, und selbst wenn er ausgerissen war, hatte irgendeine natürliche Vorsicht ihn stets von diesem Ort fern gehalten. Aber jetzt war er hier, und es gefiel ihm ganz und gar nicht.
Die Stadt war nicht im Geringsten so, wie er sie sich vorgestellt hatte. Zum einen war sie sauberer, sehr viel sauberer als die Hauptstadt, die jeder Lichtelf als Vorzeigestadt des Reiches pries. Und zweitens – Pyrgus musste es zähneknirschend zugeben – war sie viel besser angelegt, obgleich das nicht weiter verwunderte, weil es sich um eine neuere Stadt handelte. Die Hauptstadt bestand bereits seit fast zweitausend Jahren, Yammeth dagegen war erst vierhundert Jahre zuvor errichtet worden, als die Ebene von Yammeth Cretch nach dem Separationskrieg an die Nachtelfen abgetreten worden war. Mithilfe einer dämonischen Arbeiterschaft erschufen sie die Stadt aus dem Nichts. Es ging das Gerücht, dass es sich bei der Anlage der Stadt um eine Nachempfindung der seelenlosen Metallstädte von Hael handelte.
Vielleicht war es das, was Pyrgus so nervös machte. Oder es lag an der Beleuchtung.
Pyrgus war an dunkle Gassen gewöhnt. (Teufel noch eins, er hatte sogar in einer gewohnt, ehe die Gardisten seines Vaters ihn aufspürten.) Aber dies hier war etwas anderes. In Yammeth war es selbst in den Hauptstraßen schummerig. Aber nicht etwa gemütlich-schummerig: Die Glühkugeln in den Straßenlaternen erzeugten ein fahles, blaugrünes Licht, das alles aussehen ließ, als sei es von Pilz befallen. Und durch die Sonnenbrillen wurde es noch viel schlimmer. Jeder trug hier eine Sonnenbrille, einschließlich Pyrgus – das war Teil seiner Tarnung: Die Nachtelfen benötigten ihre Brillen wegen ihrer lichtempfindlichen Augen. Für Pyrgus wurde durch die Sonnenbrille alles nur noch dunkler. Zweimal war er bereits gestolpert, und einmal wäre er fast gegen eine gläserne Tür gelaufen. Er musste verrückt gewesen sein, hierher zu kommen.
Der Verkehr half auch nicht weiter. Die unter Nachtelfen beliebteste Art der Fortbewegung war etwas, das man in den anderen Gebieten des Reiches schlicht nicht kannte: ein Ein-Mann-Segler, der sich reiten ließ wie ein Pferd. Unglücklicherweise wurden die Segler durch billige Zauber angetrieben, die mehr die Geschwindigkeit als die Flughöhe beeinflussten, und die meisten Nächtlinge flogen mit ihnen in halsbrecherischem Tempo etwa auf Schulterhöhe herum. Wenn man wie Pyrgus zu Fuß unterwegs war, standen die Chancen gut, geköpft zu werden, noch ehe die Ohren sich auf das herannahende Brummen eingestellt hatten. Daher mied er die schummerigen Hauptverkehrsstraßen lieber und nutzte stattdessen die noch dunkleren Seitenstraßen. Auf diese Weise brauchte man natürlich eine Ewigkeit, um ans Ziel zu kommen.
Schließlich schien er die Grenzmauer des Ogyris-Anwesens jedoch erreicht zu haben – selbst in dem fahlen Licht war das auffällige rotgoldene Ogyris-Wappen am schmückenden Fries oben an der Mauer zu erkennen.
Pyrgus sah sich um. Er konnte es nicht wagen, das Haupttor zu benutzen, aber er wusste, dass es noch andere Eingänge gab – außerdem suchte er einen ganz bestimmten. Was er nun brauchte, war die Statue von Lord Hairstreak. Doch sie war aus vulkanischem Glas gehauen und bei diesem Licht fast unmöglich zu erkennen, außer man stand beinahe schon direkt davor. Im Moment würde er sie mit Sicherheit nicht sehen können. In seiner
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