Der Elfenthron - Brennan, H: Elfenthron
Earl Grey?
Was
war Earl Grey? Vielleicht gab es unterschiedliche Arten von Tee. Sie holte tief Luft.
Jetzt war es sowieso zu spät, und es machte wohl kaum einen Unterschied, welche Art von Tee sie trank. »Ja, klar«, sagte sie. Sie hatte irgendwo gelesen, dass Menschenmädchen in ihrem Alter ihre Zustimmung signalisierten, indem sie
cool
sagten, aber sie hatte auch gelesen, dass die Engländer Tee immer heiß tranken, sodass eine solche Antwort wohl kaum passend war. Das Leben in der Gegenwelt stellte sich als weit schwieriger heraus, als sie erwartet hatte.
Der Kessel allerdings war ganz einfach. Das Design war hier fast genauso wie im Elfenreich, und auch wenn der Kessel auf dem Tresen kleiner war als die in der Palastküche und hinten am Boden so eine komische kleine Röhre rausguckte, war es dennoch ganz gewiss ein Kessel. Sie sah sich noch einmal nach einem Feuer um. »Wo stell ich ihn hin, damit das Wasser aufkocht?«
»Ist denn Wasser drin?«, fragte Aisling.
Oh ihr Götter
, dachte Mella. Wo war der Brunnen in dieser kleinen Küche? Hatte er eine Pumpe oder musste sie das Wasser mit einem Eimer hochholen? Es gab keine
Zauber
, das war das Problem. Man musste absolut alles selber machen.Sie schüttelte den Kessel auf gut Glück und stellte zu ihrer Erleichterung fest, dass er bereits halb voll war. »Ja, ist drin.«
»Dann steck ihn neben dem Spülbecken rein.«
Steck ihn rein?
Wenn Diener Wasser in einem Kessel zum Kochen bringen wollten, ohne einen Zauberkegel zu benutzen, hängten sie ihn über offenes Feuer. Aber
ihn reinstecken?
Wie steckte man einen Kessel rein? Um Zeit zu gewinnen, ging sie langsam zum Spülbecken hinüber – sie wusste, was ein Spülbecken war – und sah sich vage um.
»Der Stecker ist neben der Mikrowelle«, sagte Aisling hilfsbereit.
Was im Namen der Alten Götter war eine Mikrowelle? Zum ersten Mal, seit sie in der Gegenwelt angekommen war, hatte Mella das Gefühl zu ertrinken. Dann bemerkte sie plötzlich die Schrift auf der Aromakammer in Hühnergröße:
Siemens HF26056GB 1000 Watt Mikrowelle
. Großartig, aber was nun? Steck sie in die Mikrowelle? Nein, Tante Aisling hatte
neben der Mikrowelle
gesagt. Mella spürte, wie ihr Verstand einen Gang höherschaltete, wie er es manchmal tat, wenn sie sich einer Notsituation gegenübersah. Neben der Mikrowelle befanden sich mehrere Küchenutensilien, aber nur eine von ihnen sah ansatzweise so aus wie das, was sie suchte: eine schwarze Gummischlange mit einem kurzen, dicken Rohrende. Ein Stecker?
Vielleicht
ein Stecker. Vielleicht
der
Stecker. Aber das Interessante, das Wichtige, was ihr rasend arbeitender Verstand ihr sagte, war, dass der Stecker (?) so aussah, als könnte er vielleicht in die Röhre passen, die hinten aus dem Kessel ragte. Sie versuchte, ihn da reinzustecken. Zuerst passte er nicht, dann drehte sie ihn ein bisschen, und er glitt rein. Mella stellte triumphierend den Kessel ab.
»Du musst ihn an der Wand anstellen«, sagte Aisling.
Mellas Blicke folgten der schwarzen Schlange. Am anderen Ende des Kessels führte sie mithilfe einer merkwürdigen Scheibe in die Wand. Auf dieser Scheibe war ein Schalter.Aber Mella wusste, was man mit Schaltern machte. Mit einem Triumphgefühl drückte sie ihn herunter. Zu ihrer Erleichterung sah ihr Tante Aisling nicht mehr zu, sondern hatte einen Geschirrschrank geöffnet und einen kleineren, dickbauchigen Kessel herausgeholt, der auf dem Rücken einen Griff besaß. Anders als der richtige Kessel gab es ein solches Gefäß im Elfenreich überhaupt nicht, aber sie wusste von Abbildungen, was das war: eine Teekanne. Fasziniert sah sie zu, wie Tante Aisling getrocknete Kräuter aus einem gelben Behälter hineinlöffelte.
»Ich hasse Teebeutel, du nicht auch?«, bemerkte Aisling rätselhafterweise.
»Kann sie absolut nicht ausstehen«, sagte Mella.
Minuten später goss Aisling zwei Tassen einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit ein. »Ich hoffe, du nimmst keine Milch zu deinem Earl Grey«, murmelte sie.
Mella ließ ein ostentatives Schaudern erkennen, als sie ihre Tasse zum Tisch trug. »Rühr ich nie an.« Sie konnte sich durch dieses Gespräch hindurchmogeln, sie wusste, sie konnte es. Sie hatte sich schon so schön durchgemogelt, denn Tante Aisling hatte ganz eindeutig überhaupt keinen Verdacht geschöpft. Alles, was sie zu tun hatte, war jetzt, das Ganze richtig zu steuern. Und ihre Sinne beieinanderzuhalten. Und dabei so viel wie möglich über die Gegenwelt in
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