Der Elfenthron - Brennan, H: Elfenthron
Zwei Leute waren darin, beide weiblich. Eine war eine erwachsene Menschenfrau, ein bisschen übergewichtig und ein wenig verschlagen. Das andere war die Eigentümerin des Taschentuchs, ganz gewiss ein Elfenmenschmädchen – die spitzen Ohren und grünen Augen waren ein untrügliches Zeichen – und beinahe ebenso gewiss das Kind von Blue und Henry: Sie besaß das entschlossene Kinn ihrer Mutter und den dämlichen Gesichtsausdruck ihres Vaters. Sie war also in der Gegenwelt – etwas, das Brimstone sofort klar geworden war, als er das Taschentuch berührt hatte, wobei es ihm keinesfalls eilig damit war, diese Information an Chalkhill weiterzugeben. Er wusste nicht genau, wo in der Gegenwelt sie war. Noch sah er zu wenig, aber sobald sie nach draußen ging, würde er wahrscheinlich etwas mehr wissen. Wenn er sie dann genauer lokalisiert hatte, konnte er immer noch entscheiden, ob er es Chalkhill sagte oder nicht. Er konnte auch selbst entscheiden, was er mit dem Mädchen tun wollte. Es hing alles davon ab, was für Brimstone das Beste war.
Er öffnete wieder die Augen und fragte sich vage, wer Chalkhill angeheuert hatte und wofür.
Elf
Henry blinzelte, rieb sich die Augen und schaute noch mal hin. Das Mädchen – in Wirklichkeit wohl eher die Frau: Er musste mal damit aufhören, sie ein Mädchen zu nennen, weil sie das nur zu ärgern schien –, das am Frisiertisch saß, war Blue. Sie sah aus wie Blue. Sie war wie Blue gekleidet. Sie sprach wie Blue. Ihr Bild im Spiegel war Blues Spiegelbild. Aber sie konnte nicht Blue sein, weil Blue neben ihm stand.
»Und, was sagst du?«, fragte die Blue neben ihm. Trotz ihres Kummers wegen Mella lächelte sie sogar ein wenig.
Henry blickte Blue ein drittes Mal an, dann das Mädchen – die Frau – neben ihm. Sie war diejenige, die ihn zu ihren Privatgemächern begleitet hatte. Besser gesagt, sie war diejenige, die verlangt hatte, dass er das, was er gerade tat, stehen und liegen ließ und sie zu ihren privaten Gemächern begleitete, was wirklich sehr nach der echten Blue klang. Aber es wäre ebenso typisch für die echte Blue, ihn hinters Licht führen zu wollen – sie hatte einen ziemlich fiesen Sinn für Humor.
»Wer von euch …?«, fragte er hilflos.
»Ich«, sagte die Blue neben ihm.
»Ich«, sagte die Blue am Frisiertisch.
Henry blickte von der einen zur anderen. Sie waren absolut und vollkommen identisch und er hatte das Gefühl zu ertrinken. Ihm kam der Gedanke, dass Blue vielleicht eine Zwillingsschwester hatte. Aber warum hatte sie ihm nie etwas davon erzählt? Und überhaupt, die Blue am Frisiertisch behauptete ebenso, Blue zu sein, wie die Blue neben ihm. Mit identischen Zwillingen wäre das nicht geschehen. Eine der beiden hieße Lizzie oder Maud oder wie auch immer.Was er hier hatte, waren zwei
Versionen
Blues, und er wusste einfach nicht, welche davon er geheiratet hatte.
Das Mädchen (die Frau!) neben ihm beugte sich vor, um ihm ins Ohr zu flüstern. »Du hast ein kleines herzförmiges Muttermal an deinem Hintern; das weiß sie nicht. Ich küsse es gern, wenn wir uns …«
Henry hustete. »Ganz recht«, sagte er schnell. Er spürte im Nacken, wie er rot wurde. Dennoch war die Ähnlichkeit so unheimlich, dass er lieber auf Nummer sicher ging. »Kannst du mir verraten, wo ich mein Muttermal habe?«, fragte er die Blue am Frisiertisch.
Sie schenkte ihm Blues entzückendes Lächeln. »An deinem Ohr?«, fragte sie.
Henry schüttelte staunend und langsam den Kopf. »Was ist das – ein Illusionszauber?«
»Doppelgänger«, antwortete Blue, die echte Blue an seiner Seite. »Einem Illusionszauber würde ich nicht trauen, nicht in dieser Sache.«
»Ich dachte, Doppelgänger wären gefährlich«, sagte Henry. Was er wirklich dachte, war sogar, dass man starb, wenn man seinen eigenen traf.
»Sie sollen angeblich Unglück bringen, aber das ist bloß ein alter Aberglaube. Ist sie nicht großartig?«
Sie war tatsächlich großartig, dachte Henry. Sie war Blue, bis in die kleinste Kleinigkeit hinein. Die Art, wie sie ihren Kopf hielt, wie sie die Hand bewegte, der Ausdruck in ihren Augen, wenn sie die Situation abschätzte …
»Wo hast du sie her?«, fragte er. »Ich dachte, Doppelgänger tauchten einfach auf, als böses Omen.«
»Ich habe das mit Madame Cardui arrangiert«, sagte Blue. »Ich war heute Vormittag bei ihr, um über Mella zu sprechen.«
Henry wollte wissen, wie das Gespräch gelaufen war, aber das konnte er
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