Der Elfenthron - Brennan, H: Elfenthron
machen und vom Balkon zu winken.«
»Was für eine Notlage?«, fragte Pyrgus sofort. Manchmal bedauerte er beinahe sein Leben mit Tiergehege und Weingärten: Er war von den Aufregungen in der Hauptstadt so abgeschnitten.
Madame Cardui seufzte. »Ich fürchte, Miss Culmella schlägt wieder einmal über die Stränge. Möchtest du etwas zu trinken? Oder vielleicht nicht, da du ja fliegst. Es sei denn, du möchtest über Nacht bleiben, natürlich. Obwohl ich nicht weiß, wann deine Schwester zurückkommen wird. Mella ist verschwunden – weggelaufen. Blue und Henry suchen siepersönlich und ich habe natürlich meine besten Agenten auf sie angesetzt. Wobei ich peinlicherweise sagen muss, dass dabei bislang kaum etwas herausgekommen ist. Ich vermute, dass es bei Blue und Henry auch nicht viel besser ist, weil ich nichts mehr von ihnen gehört habe.«
»Ich glaube, ich weiß, wo Mella ist«, sagte Pyrgus.
Madame Cardui, die an der Hausbar hantiert hatte, setzte abrupt die Flasche ab. »Was?«
»Ich glaube, sie könnte in Haleklind sein«, sagte Pyrgus.
»Ich kann mir kaum einen unwahrscheinlicheren Ort vorstellen«, murmelte Madame Cardui, aber ihr Ton legte nahe, dass sie ihn absolut ernst nahm. Es war ihre Fähigkeit, auch das Unwahrscheinliche anzunehmen, was sie zu so einer ausgezeichneten Spionagechefin machte. Ruhig sah sie Pyrgus an. »Speziell wo in Haleklind?«
»Speziell gefangen gehalten von der regierenden Tafel der Sieben.«
Diesmal gelang es Madame Cardui nicht, ihren Schock zu verbergen. »Bist du sicher?«
Pyrgus schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin mir nicht sicher. Aber ich habe es von jemandem, dem ich vertraue und der mir versichert, dass seine Quelle zuverlässig ist.«
»Weiß die Tafel der Sieben, wer sie ist?«
»Keine Ahnung. Es kann sein, dass sie es nicht wissen, aber ich nehme an, dass sie es ihnen gesagt hat.«
»Es sei denn, sie spielt eins von ihren albernen Spielchen. Was macht sie denn in Haleklind? Ich nehme an, sie ist illegal ins Land gereist?«
»Das weiß ich auch nicht.«
Madame Cardui tastete nach einem Sessel und setzte sich. Trotz ihres Kopfpeelings begriff Pyrgus plötzlich, wie alt sie in Wirklichkeit war und wie viel Sorgen sie sich machte. In ihren Augen lag Müdigkeit, aber auch Entschlossenheit. »Hilf mir, Pyrgus: Kannst du dir irgendeinen Grund vorstellen, warum deine Nichte nach Haleklind gefahren sein könnte?«
»Um die Wahrheit zu sagen, ich kenne meine Nichte nichtbesonders gut«, sagte Pyrgus. »Ich meine, ich sehe sie von Zeit zu Zeit, und ich habe bemerkt, wie sie sich in eine junge Frau verwandelt hat, aber seit ich abgedankt habe, halte ich mich, wie Sie wissen, vom Palast fern, also bin ich nicht gerade in engem Kontakt mit ihr. Aber ich kann Ihnen sagen, warum
ich
in ihrem Alter nach Haleklind gefahren bin …«
»Warum?«, fragte Madame Cardui.
»Um ein Halekmesser zu kaufen. Ich glaube nicht, dass es das ist, was Mella dort sucht, aber die meisten Leute fahren nach Haleklind, um Magie zu erwerben – magische Artefakte oder präparierte Zauber –, die sie zu Hause nicht bekommen können oder nicht kaufen dürfen.«
»Dann glaubst du also, dass sie illegale Magie gekauft hat?«
»Es ist eine Möglichkeit.«
»Ihre Eltern glauben, dass sie in der Gegenwelt ist.«
»Dann suchen sie sie also dort?«
»Ja.«
Pyrgus sagte: »Aber Sie glauben nicht, dass sie recht haben?«
Madame Cardui schüttelte langsam den Kopf. »Ich war nicht überzeugt. Deshalb habe ich meine eigenen Bemühungen auf andere Orte konzentriert. Seltsamerweise war Haleklind einer der Orte im Reich, die mich interessiert haben.«
»Aber Sie sagten, Sie könnten sich einen unwahrscheinlicheren Ort für Mella kaum vorstellen.«
»Kann ich auch nicht. Aber
irgendetwas
geht in Haleklind vor. Wir hegen seit mehreren Monaten Verdacht, auch wenn wir bislang nicht in der Lage waren, irgendetwas Handfestes zu entdecken. Meine Erfahrung sagt mir, dass es immer sinnvoll ist, nach einer Verbindung zu suchen, wenn man mit zwei ungewöhnlichen Situationen gleichzeitig konfrontiert wird, wie disparat sie auch sein mögen. Jetzt erzählst du mir, dass Mella in Haleklind festgehalten wird. Das legt nahe, dass diese Dinge tatsächlich miteinander verknüpft sind.«
»Was für Aktivitäten werden denn aus Haleklind gemeldet?«, fragte Pyrgus und runzelte die Stirn.
»Militärische«, antwortete Madame Cardui knapp.
Pyrgus verspürte einen kurzen Schauder. Mehr als eine halbe
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