Der Engel Der Kurie
vieldeutiges Lächeln auf, »denn es wäre besser für die Signora, wir unterhielten uns hier als in der Casa Santa. Du erkennst mein Habit?«
Die Augen der Alten loderten plötzlich auf. Die Casa Santa war in ganz Rom bekannt und gefürchtet. Abweisend stand das Haus der Inquisition in einer kleinen Gasse nahe Sankt Peter, ein düsteres Haus, das nur durch eine Reihe Fenster Licht bezog und die fürchterlichen Gewölbe beherbergte, in denen der territio verbalis die territio realis folgte. Mit dieser Tortur konnten die Wahrheitssucher der Kurie zu jeder Aussage gelangen, mochte der Mensch noch so verstockt sein.
Die Alte nickte langsam und drehte sich um: »Folgt mir.« Unbeholfen stieg sie die enge Treppe hinauf.
Jakob schloß die Haustür hinter sich. Das Treppenhaus roch modrig, die grauen Holzdielen knarrten bei jedem Schritt. Hier kann unmöglich eine Kupplerin für vornehme Herren wohnen, dachte Jakob und überlegte, ob er umkehren sollte. Aber da waren sie schon bei einer in einem Winkel versteckten Tür angelangt, die sich wie von Geisterhand öffnete. Dahinter lag ein schmaler Flur, der am Ende von einem winzigen Fenster Licht erhielt. Am Ende des Ganges stiegen sie eine steile Wendeltreppe empor, zwängten sich zwei Stockwerke höher durch eine weitere versteckte Tür und gelangten in einen mit Seidentapeten ausgeschlagenen Raum.
»Setzt Euch«, schnarrte die Bucklige und wies auf einen Ledersessel. »Ich werde nachsehen.« Dann verschwand sie in einer Flügeltür.
Jakob betrachtete die Zeichnungen auf der Tapete; Enten und Schwäne gab es dort, Eulen und Falken, Raben und Elstern, dazwischen Schilfrohr fein gezeichnet und einige Sträucher in Blütenpracht. Bei näherem Hinsehen zeigten sich alle Jahreszeiten auf der chinesischen Seide. Das Zimmer, in sanftem Ocker gehalten, wirkte entspannend; Jakob genoß die Atmosphäre des Raumes, wunderbar beruhigt und aufgehoben fühlte er sich, als wäre nur Friede ringsum. Wie damals, als er, ein Knabe noch, mit seiner Mutter in der guten Stube gesessen und sie ihm von Jesus Christus erzählt hatte. Wie hatte er die Abendstunden mit seiner Mutter geliebt, wenn sie allein waren und er sich auf ihren Schoß setzen und ihrer weichen Stimme lauschen durfte. Sprach sie von Jesus, wurde der Heiland lebendiger als in der heiligsten Glaubensoffenbarung, und von ihrer Erwartung ans Himmelreich strömte ein Gefühl der Geborgenheit auf ihn über, daß jedes Leid der Welt vergessen war.
Dabei hatte sie gerade erst den Mann verloren; Räuber hatten seinen Vater erschlagen, als er sich mit etlichen Wechseln nach Venedig auf den Weg gemacht hatte, um den Handel mit Tuchen aus dem fernen Osten zu beleben. Nicht nur, daß Mann und Vater fehlten, auch die Geldmittel waren verloren. Seine Mutter blickte in eine traurige und ungewisse Zukunft; doch sie regelte ihre Angelegenheiten ruhig und mit so viel Gottvertrauen, daß kein Platz für Befürchtungen blieb. Jakob hatte erst, nachdem seine Mutter die Ehe mit einem Ministerialen der Wittelsbacher eingegangen und er Novize bei den Dominikanern war, die Notlage begriffen, in der sich seine Familie befunden hatte.
Plötzlich wurde die Flügeltür aufgestoßen, und eine rundliche Frau trat vor ihn hin.
Zunächst sah er nur ihre Augen: Sie hatten das weiche Blau des Himmels kurz vor der Abenddämmerung. Jakob fühlte sich emporgehoben, genau wie ein Schwimmer von der sanft anrollenden Dünung am Strand. Dann betrachtetet er ihren Mund: rote Lippen, zu einem Herz geformt, dahinter die Andeutung makelloser Zähne. Ihr Gesicht wirkte offen und vom Leben kaum gezeichnet; nur um ihren Mund spielten ein paar zarte Falten, die verrieten, daß sie gerne lachte. Das kastanienbraune Haar fiel bis auf ihre Schultern und umrahmte einen kräftigen Hals. Ihr Kleid wirkte schlicht, obschon es aus schwarzem Samt war und ihre üppigen Formen betonte. Die Frau neigte leicht den Kopf und sagte: »Ihr wolltet mich sprechen, Herr.«
Jakob starrte sie an und lächelte stumm. Sie legte die Hände ineinander und schaute ihn ruhig an; an einem leichten Zittern ihrer Mundwinkel erkannte Jakob, daß es ihr schwerfiel zu schweigen. Ganz allmählich formten sich Worte in seinem Kopf, doch wollte er das Spiel nun auf die Spitze treiben und blieb absichtlich stumm. Die Frau wich seinem Blick aus und begann, ihr Gewicht von einem Bein auf das andere zu verlagern. Diese Bewegung ließ sie noch anmutiger erscheinen. Jakob kam sie wie der Inbegriff von
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