Der Engel Der Kurie
hatte ihn mit scheinbar echter Leidenschaft geküßt; trotzdem war es Jakob gelungen, aus den Augenwinkeln zu erkennen, daß der Fremde ein grünes Hemd trug.
Jakob blickte auf den Stoff in seiner Hand wie auf ein wertvolles Geschmeide, dann steckte er ihn rasch in die Tasche seiner Soutane und suchte den Strauch nach weiteren Spuren ab. In der Tat fand er wenig später an einem Ast einige schwarze Fäden, die von Antonias Rock stammen konnten, und als er sich tiefer bückte, entdeckte er unter dem Strauch Antonias rotes Seidenhemd; da war kein Zweifel möglich, denn erstens war die Leiche oben herum nackt, und zweitens kannte er das Hemd genau. Je später der Abend geworden war, um so weiter hatte Antonia ihr Wams aufgeknöpft.
Um des Kleidungsstücks habhaft zu werden, mußte sich Jakob niederknien und weit ausstrecken; als seine Fingerspitzen den roten Stoff endlich zu fassen bekamen, verlor er das Gleichgewicht und fiel in die Dornen. »Verdammt«, fluchte er, packte das Seidenhemdchen und stand auf. Vorsichtig tupfte er sich über die Striemen im Gesicht; auf einer Fingerkuppe fand sich etwas Blut. Sein Gesicht brannte, und während er überlegte, wo er sich waschen könnte, stopfte er seinen Fund ebenfalls in seine Soutane.
Dann ging er in die Kirche zurück, vergewisserte sich, daß ihn niemand beobachtete, schlug das Kreuz, verneigte sich gegen den Altar und tauchte sein Gesicht in das marmorne Weihwasserbecken. Anschließend setzte er sich neben einer Säule auf die Bank und betrachtete Antonias Unterwäsche; das Hemd war nicht zerrissen, sondern offensichtlich vorsichtig über den Kopf ausgezogen worden. Bis hierhin also, dachte Jakob, bestand Einvernehmen zwischen Antonia und ihrem Mörder.
Ambrogio Farnese empfing ihn in einem kleinen Raum vor einem leise knisternden Feuer; er schien nicht überrascht, Jakob zu sehen, der von Santa Maria del Priorato herübergekommen war.
»Seid Ihr mit mir der Meinung, daß nichts zufällig geschieht?« fragte Jakob.
Farnese breitete seine Arme aus und wies mit den Handflächen nach oben, wie ein Priester vor der Wandlung.
»Zufall, Fügung, Schicksal – wer weiß das schon?« antwortete er, und seine Augen wirkten müde.
»Vielleicht ist es ein Fehler; ich weiß nicht, warum, aber ich vertraue Euch«, sagte Jakob und nahm dankend den Becher Wein entgegen, den ein Diener gebracht hatte. Dann erzählte er Ambrogio alles, was geschehen war, seit er das Fest verlassen hatte.
»Da ist ein guter Kerzenmacher am Werk«, murmelte Ambrogio, als Jakob geendet hatte, »er versucht ganz gerissen, Gott eine wächserne Nase zu drehen.«
»Was meint Ihr?«
»Ach, nur so ein Sprichwort von meiner Mutter.« Ambrogio Farnese trank einen Schluck Wein. »Da will dir einer den Mord in die Schuhe schieben, und er stellt es geschickt an.«
»Wer könnte dahinterstecken?«
»Schwer zu sagen. – Wer weiß, daß du in den Hurenmorden ermittelst?«
»Ihr wißt es, Euer Vetter natürlich, dann Trippa und Moncada – Frangipane vielleicht, mein Ordensgeneral gewiß. Aber sonst?« Jakob schüttelte den Kopf. »Ich glaube, niemand.«
»Nichts verbreitet sich in Rom schneller als ein sogenanntes Geheimnis, und wenn mein Vetter wirklich gewollt hätte, daß dein Tun vertraulich bleibt, hätte er weder mich noch Trippa eingeweiht. Ottavio hat etwas ganz anderes im Sinn; es geht ihm gar nicht um die toten Huren. Solange die Opfer vollkommen unbekannte Mädchen sind und keine der großen Cortigiani betroffen ist, schert sich der Kanzler des Papstes einen Dreck um die niederen Verbrechen Roms. Er will etwas herausfinden, und du sollst ihm dabei helfen; aber ich habe keine Ahnung, um was es ihm geht.«
Jakob blickte verständnislos.
»Trippa wird die Angelegenheit nicht vertraulich behandeln, sondern gezielt bekanntmachen. Je nachdem, wen er in Kenntnis setzt, verrät er seinen wahren Standpunkt dem Kanzler gegenüber. Außerdem wird allein der Umstand einer geheimen Ermittlung manches Mitglied der Kurie verunsichern und möglicherweise den einen oder anderen zu einem Fehler verleiten. Das kann Ottavio helfen, verborgene Verbindungen zu erkennen.«
»Was soll das alles?«
»Nun, ich habe dir gestern einiges über den Vatikan erzählt. Wenn du über Leo hinaus in die Geschichte schaust und dich nicht scheust, Alexander genau zu betrachten, dann wirst du erkennen, daß Mord und Totschlag in der Kurie schon einmal zum guten Ton gehörten. Cesare, die Teufelsbrut von Borgia, hat mehr als
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