Der Engel Der Kurie
jedenfalls herrschte eine derart rege Betriebsamkeit, wie sie Jakob, abgesehen von der Flucht vor Colonnas Rotten im September, seit seiner Ankunft in Rom vor einem Jahr nicht gesehen hatte. Der Papst rüstete zum Krieg gegen den Kaiser und alle seine Feinde; jedem Kardinal gebot er, auf eigene Kosten hundert Mann auszurüsten, und die Orsini und Farnese rüsteten vorneweg, denn wenn es gegen ihre Erzfeinde Colonna ging, saß ihr Geldbeutel locker.
Gleichwohl konnte diese Unruhe die Lust an Ablenkung und Unterhaltung nicht lindern; beinahe schien es so, als würden die Feste in den Palazzi zunehmen und noch üppiger ausgestaltet als zuvor. Alle, die ihr Schwert griffbereit trugen, wollten ihr Leben genießen, ehe es auf die Schlachtfelder ging, und mancher, der bei der Eroberung der Colonna-Besitzungen Zagarolo, Gallicano, Genazzano und Subiaco beteiligt war, feierte in den Palazzi der Großen den Erfolg; und sie waren voller Hoffnung, den kleinen Siegen bald einen überwältigenden Triumph folgen lassen zu können.
Jakob hatte die Zeit abseits von Politik genutzt und auf der Ebene der Sekretäre viele Kuriale kennengelernt, von denen er die unterschiedlichsten Einblicke in die Arbeit des Heiligen Stuhls und in das Zusammenwirken der einzelnen Parteiungen erhielt. Besonders bemerkenswert schien ihm, daß sich der Papst mit Giammatteo Giberti einen Franzosenfreund und mit Nikolaus von Schomberg einen Kaiserfreund als Berater auserkoren hatte. Daraus schien sich die gelegentliche Unentschlossenheit des Pontifex Maximus und sein stetes Schwanken zwischen Franz und Karl zu erklären. Gerade die Gegensätze von Giberti und Schomberg mochten aber auch so skrupellosen Menschen wie Fabricio Casale erst die Möglichkeit einräumen, hinter den Kulissen eine geheime Politik zu betreiben und zum eigenen Nutzen den einen gegen den anderen auszuspielen.
Daß der Weihbischof genau dies tat, das erfuhr Jakob bei seinen Gesprächen zur Genüge. Das infamste Gerücht über Casale ging sogar so weit, ihm anzulasten, er würde heimlich einerseits mit Pompeo Colonna an einem Komplott zugunsten des Kaisers stricken, an dessen Ende der Colonna die Tiara und Casale die Stellung des Kanzlers erhielte, und andererseits würde er eine dem Franzosen Franz geneigte Politik des Kardinals Alessandro Farnese unterstützen, um den ›Unterhosenkardinal‹, wie der ältere Farnese allenthalben genannt wurde, weil er sein Amt seiner Schwester Giulia verdankte, für die Zeit nach Clemens aufzubauen. Auch in diesem Fall würde Casale selbstverständlich nicht ohne Lohn bleiben. Allerdings hielt Jakob dieses Gemunkel für verfehlt. Wenn Casale Intrigen schmiedete, was als sicher gelten durfte, dann eine Ebene tiefer, und wenn es um die Verteilung von Pfründen und Privilegien ging, durfte man bei der Wahl der Mittel nicht wählerisch sein und mußte die Spuren geschickt verschleiern.
Aber auch jenseits der Politik vermehrte Jakob sein Wissen um die Zustände in Rom. Dank der Sekretäre wuchs seine Liste der Namen jener Kupplerinnen, die zu günstigen Tarifen Dirnen feilboten, und längst kannte Jakob nicht mehr nur das Haus am Aventin. Rund um die sieben Hügel waren ihm inzwischen ein Dutzend Bordelle bekannt. Irgendwann, da war er sich ganz sicher, würde er den entscheidenden Hinweis erhalten, dessen er bedurfte, um bei seinen Nachforschungen auf Trippas Unterstützung verzichten zu können.
Claudias Haus jedoch hatte Jakob in den vergangenen vierzehn Tagen nicht mehr aufgesucht, sondern einen weiten Bogen darum geschlagen. Die handfeste Warnung hatte er verstanden. Er zweifelte jedoch nicht daran, daß Claudia in düstere Machenschaften verstrickt war. Hätte sie ein reines Gewissen gehabt, hätte es der Schläger nicht bedurft, die sie ihm auf den Hals geschickt hatte. Das einzige, was ihn irritierte, war sein angenehmes Gefühl, wenn er an Claudia dachte. Vielleicht weiß sie gar nicht, was um sie herum vorgeht, dachte er mehr als einmal und mußte zugeben, daß er sich genau dies zu ihrer Entschuldigung wünschte.
Er dachte oft an Claudia, besonders an ihre warmen Augen, und während er in der Sapienza an seinem Schreibpult stand und aus dem Fenster blickte, ertappte er sich dabei, wie er sich ihr Bild vergegenwärtigte. Sein Blick ging über die gegenüberliegenden Dächer hinweg, hinüber zur Kuppel von Sancta Maria ad Martyres. Der Himmel lag trüb über der Stadt, aber es war trocken und nicht allzu kalt.
Gedankenverloren malte Jakob
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