Der Engel Der Kurie
einen Schnörkel auf das Papier vor sich. Endlich war der erste Entwurf seines Rechtsgutachtens erstellt. Mit seinem Ergebnis mochte er sich noch nicht ganz einverstanden zeigen, zumal die herausgearbeitete Rechtsfolge seinem Orden nur zum Teil das erwünschte Erbe zusprach. So konnte und wollte er das Gutachten seinem Ordensgeneral nicht vorlegen. Aber der entscheidende Ansatz, wie die letztwillige Verfügung im Sinne der Dominikaner ausgelegt werden könnte, wollte Jakob nicht in den Sinn kommen. Er benötigte etwas Abstand zu den komplizierten Rechtsfragen. Zu rasch war er an die Ausarbeitung gegangen.
Beinahe in jeder Nacht sah er im Schlaf das entsetzte Gesicht Bibianas. In seinen Träumen bestand er auch viele Abenteuer: Einmal kniete er vor Clemens und empfing den Segen des Papstes, ein andermal focht er mit Studenten aus seiner Burse zu Ingolstadt, oder er verhörte gemeinsam mit einem bayerischen Landrichter einen Ketzer und führte ihn zurück auf den rechtgläubigen Weg. Doch in jedem Traum schien Bibianas Totengesicht gegenwärtig zu sein. Noch bedrückender waren die Träume von Antonia, denn sie trat ihm als lebendiges Wesen entgegen; wie auf dem Fest von Ambrogio Farnese scherzte und tanzte sie mit ihm, setzte sich auf seinen Schoß und küßte ihn leidenschaftlich. Nur jedesmal wenn sie ihr Kleid öffnete, sah er voller Schrecken ihre grausamen Wunden.
Aus diesen Träumen erwachte er stets schweißgebadet. Besonders grausam fühlte er sich, wenn Antonia ihn im Traum allzusehr umgarnt hatte, so daß er seines Gemächts gewahr wurde. Einmal, als ihn das Traumgesicht auf wildeste Art angestachelt und dann niedergeschlagen hatte, mußte er sich sogar übergeben.
Nein, die Toten kann man nicht so leicht vergessen, dachte Jakob. Seine rechtlichen Erwägungen mochten für eine Weile ruhen, es genügte, wenn er in einigen Tagen den Faden wieder aufnahm und mit der ihm eigenen Gründlichkeit alles nochmals überdachte. Er schob die Papiere zusammen, legte sie in die Klappe unter der Schreibfläche und schloß sein Pult ab. Dann verließ er die Schreibstube. Er war hungrig, wollte aber weder hinauf zum Collegio Teutonico, wo er in der Küche jederzeit etwas zu essen bekommen hätte, noch hinüber zu den Dominikanern von Santa Maria sopra Minerva, mit deren Koch er sich gut stand, denn da wäre die Gefahr zu groß gewesen, dem Ordensgeneral zu begegnen. Statt dessen zog es ihn zum Campo de Fiori. Endlich wollte er Giuseppes Schenke wieder einmal einen Besuch abstatten.
Doch als er aus dem Tor der Sapienza trat, klopfte ihm jemand unversehens auf die Schulter; Jakob drehte sich um. Monsignore Trippas ungewöhnlich hellblaue Augen lauerten in ihren tiefen Höhlen, seine schmalen Lippen zitterten.
»Es ist etwas Furchtbares geschehen«, flüsterte er. »Du mußt unverzüglich mitkommen.«
Jakob nickte und folgte dem dahineilenden Monsignore an der Rückseite des Pantheon vorbei, an Santa Maria sopra Minerva entlang, hinein in ein Gewirr von Gassen und endlich in den Palazzo Nicosia. Über die breite Treppe eilten sie hinauf in den ersten Stock und durch eine weit geöffnete, von zwei Sbirri bewachte Flügeltür. Im hellen Flur standen Mägde und Lakaien und tuschelten. Am Ende des Ganges traten sie in einen mittelgroßen Raum, auf dem Tisch war für zwei Personen eingedeckt, und die Kerzen auf einem schweren fünfarmigen Leuchter brannten. Die Tür zum Nebenraum, dem Schlafgemach, stand offen, und dort, auf dem breiten Bett in weichen Kissen, waren zwei Leichen zu sehen. Neben der übel zugerichteten jungen Frau lag ein alter Mann, der halb in eine Toga gehüllt war und dem man wie zum Hohn die Mitra aufgesetzt hatte.
Langsam trat Jakob näher heran und erkannte den alten Kardinal Aldobrandino Orsini, den Bischof von Nikosia auf Zypern – weshalb sein Palazzo im Volksmund eben Palazzo Nicosia genannt wurde, im Gegensatz zum Palazzo Orsini des alten Orsino Orsini, des einäugigen Ehemanns von Bella Giulia.
»Laßt uns alleine«, herrschte Trippa die Bediensteten an, die mit erschreckten Gesichtern vor dem Bett standen. Selbst den Sbirro, der am Tatort Wache hielt, schickte er hinaus.
»Siehst du dieses Unglück«, flüsterte Trippa erregt. »Der alte Orsini war ein Freund des Heiligen Vaters, und sein Großneffe Napoleone Orsini, der Komtur von Farfa und Sohn von Giovanni Jordano, steht derzeit hoch in der Gunst. Aldobrandinos Neffe Gentile wiederum, der zweite Kardinal der Orsini, ist Alessandro Farnese
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