Der Engel Der Kurie
unheimlich, denn nicht überall steckten Fackeln in den Wandhaltern, und oft mußte man fünfzig Schritt in totaler Finsternis dahintappen, ehe es wieder lichter wurde. In den Straßen trieb sich vielerlei Gesindel herum, und wer nicht in einer Kutsche oder auf einem Pferd saß, tat gut daran, sich nicht lange in der Dunkelheit aufzuhalten. Besonders gefährlich waren jene Straßen, in denen verfallene alte Wohnhäuser lagen oder die an Ruinenfeldern und verwahrlosten Wiesen entlangführten.
Jakob wußte um diese Gefahren und strebte der Via Giulia zu, die ziemlich belebt und halbwegs sicher war. Doch nach wenigen Minuten kam ihm in den Sinn, es noch einmal in Claudias Haus zu versuchen und dort vielleicht jene Lydia zu befragen, von der Vanessa behauptet hatte, sie bestimme über die Huren. Also änderte er seine Richtung und nahm die große Straße hinein in die Stadt. Bald erreichte er das Haus von Burckhardt von Straßburg, lief die nächsten hundert Schritte und atmete auf der Treppe zu Claudias Freudenhaus tief ein. Er pochte mit dem Klopfer, einer in Bronze gegossenen Wölfin, gegen die mit Kupfer beschlagene Tür. Rasch wurde geöffnet. Wie in einem Strahlenkranz stand eine weiß gewandete Frau vor ihm, das Kleid fiel in weiten Falten, ihr goldenes Haar leuchtete.
Eine Engelserscheinung, dachte Jakob, vor dem Lichte des Heiligen Geistes. Zum erstenmal begriff er, warum gewisse Mädchen stets Engel genannt wurden.
Doch die Frau begrüßte ihn mit durchaus irdischer Stimme, als er eingetreten war. »Seid Ihr angemeldet?«
»Leider nein«, entgegnete Jakob, »aber zu gern möchte ich dieses Versäumnis bei Signora Lydia persönlich nachholen.«
Der blonde Engel wandte sich hilfesuchend um, und Jakob bemerkte, daß von der hinteren Flügeltür ein muskulöser Aufpasser langsam und bedrohlich auf ihn zu kam. Doch Jakob hatte nicht vor zurückzuweichen.
»Ich möchte mit Signora Lydia sprechen.«
»Auf der Straße läuft eine Hündin, passend für den Hund des Herrn. Hier finden sich nur geladene Gäste. – Hinaus!« Der Kerl baute sich mit spöttischer Miene vor Jakob auf. Jeder Widerspruch war hier zwecklos.
Mit einem letzten Blick zu der blondgelockten Frau drehte Jakob sich um und verließ das Haus. Nachdem er noch einige Schritte auf der Via Sudario gegangen war, blickte er zurück. Der vierschrötige Aufpasser flüsterte mit einem schmächtigen Burschen. Jakob begann drohendes Unheil zu ahnen. Rasch schlug er die Richtung zur Via Giulia ein, um auf der belebten Straße möglichst ungehindert zum Borgo zu gelangen. Wie gewohnt nahm er den Weg über den Campo de Fiori und die kleine Gasse bei der Katharinenkirche und sah sich immer wieder um. Nichts war zu entdecken, obwohl er ständig das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Er beschleunigte seine Schritte. Dann nahm er tatsächlich einen Schatten wahr, der ihm folgte.
Plötzlich packte ihn die Angst, und er fing an zu laufen; doch sein Leib war schwer, mit jedem Schritt wogte und bebte sein Körper, als wolle er sich gegen die ungewohnte Beschleunigung wehren. Wenn er sich umblickte, hatte er den Eindruck, der Schatten wäre verschwunden, doch preßte sich sein Verfolger wohl in jede Nische, wenn er sich umdrehte. Jakob begann an seinem Verstand zu verzweifeln. Er glaubte nur bedingt an Gespenster, Geister und Hexen. Ja, es gab Hexen und Ketzer und Zauberer, gewiß; der Teufel wußte sich Seelen zu fangen, und wenn er ein Werkzeug brauchte, stattete er es mit guten Eigenschaften aus. Wie hieß es im Hexenhammer? Die Behauptung, es gebe Hexen, sei so gut katholisch, daß die hartnäckige Verteidigung des Gegenteils durchaus für ketzerisch gelten müsse.
Doch hinter ihm in einer Nische hockte keine Hexe, sondern ein römischer Halsabschneider. Selbst das Grauen ist in der Regel auf natürliche Dingen zurückzuführen, dachte Jakob noch, dann bog er um die Ecke in eine düstere Gasse. Er konnte kaum wahrnehmen, daß sich ein Schatten hinter ihm von der Wand löste, so düster war es hier.
Schon wollte er seine vielleicht letzte Gelegenheit nutzen, aus der schmalen Gasse herauszukommen, als aus einem Torbogen vor ihm zwei Hünen auf ihn zutraten. Sie ließen ihm keine Zeit nachzudenken. Dem ersten Schlag konnte Jakob noch ausweichen, doch der zweite traf ihn in den Magen, und ein dritter krachte gegen seine Schläfe. Wie eine üble Frucht platzte ein furchtbarer Schmerz in ihm auf. Kraftlos sank er zu Boden.
Jakob erwachte, weil irgendwo jemand
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