Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Engel Der Kurie

Titel: Der Engel Der Kurie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Brun
Vom Netzwerk:
die Natur, daß Frauen Hosen tragen«, erklärte Jakob und begriff im selben Augenblick, wie töricht seine Worte klangen, denn selbst in Männerkleidung wirkte Claudia für ihn noch wie eine schöne Frau.
    Er wandte sich um und ging voraus. Sie nahmen den Weg über die Via de Barbiere, und als sie aus der Haustür schlüpften, schaute sich Claudia ängstlich links und rechts um, ob sie jemand beobachte; dann eilten sie zum Palazzo Nicosia.
    Sie hat tatsächlich Angst, dachte Jakob; Apollonia hat recht, Claudia lebt zurückgezogen und will auf keinen Fall in der Öffentlichkeit gesehen werden, was sehr untypisch für eine Cortigiana ist; die meisten Kurtisanen umgeben sich mit besonderem Prunk und legen es darauf an, Aufsehen zu erregen.
    Im Palazzo herrschte eine gespenstische Ruhe. Vor die hohen Fenster waren Gobelinvorhänge gezogen, und in dem gedämpften Licht schlichen einige Bedienstete hin und her. Vor dem hinteren Kabinett hielten zwei Sbirri Wache. Als sie Jakob erkannten, nahmen sie Haltung an. Die beiden Räume waren menschenleer, Moncada und Trippa waren längst gegangen und Trippas Leichenträger noch nicht eingetroffen. Die Toten lagen noch genauso da, wie Jakob sie mittags vorgefunden hatte.
    Jakob berührte Claudia am Oberarm und führte sie langsam zum Bett des alten Kardinals. Keinen Moment ließ er ihr Gesicht aus den Augen. Zunächst legte sich Unmut auf ihre ebenmäßigen Züge, dann riß sie die Augen auf und öffnete den Mund wie zu einem Schrei. Sie blieb aber stumm, drängte statt dessen vor, dichter an das Bett des Kardinals. Ihre Mundwinkel zitterten heftig, und an ihrer Schläfe, wo die Haare einen sanften Flaum bildeten, pulsierte eine Ader. Doch noch immer hatte sie kein Wort gesagt. Stumm stand sie da und starrte auf die beiden Toten herab.
    Die Zeit schien sich endlos zu dehnen. Jakob erinnerte sich erneut an den Tod seines Freundes Eberhard und die Fassungslosigkeit, mit der sie damals der Pest gegenübergestanden hatten. Ja, hier in Rom kam der Tod so lautlos und rasch wie anderswo die Pest.
    Claudia begann zu weinen; wie winzige Perlen standen die Tränen in ihren Augenwinkeln und rollten dann langsam über ihre Wangen. Ihre Augen waren nun trüb wie das Meer, wenn ein Sturm aufzog. Dann nickte sie trotzig, drehte sich abrupt um und zog Jakob mit sich hinaus aus dem Zimmer.
    Wenig später saßen sie in einem kleinen Raum in Claudias Haus, der mit einer Ledertapete ausgeschlagen war. Die einzige Möblierung bestand aus drei Ledersesseln an einem niedrigen Rundtisch. Auf dem Tisch waren eine Karaffe Wein und zwei Kelche aus Kristall bereitgestellt.
    Claudia trank, ganz in Gedanken versunken, und schwieg. Den Weg zurück hatten sie beide gleichfalls geschwiegen, aber an der Tür, als Jakob mitfühlend fragte, ob er gehen solle, hatte sie ihre Hand zart auf seine Schulter gelegt und ihm bedeutet, er möge eintreten. Der verwinkelte Weg schien Jakob nun, beim dritten Mal, bereits vertraut, aber oben hatte sie ihn durch eine versteckte Tür geführt, und sie waren in dem verschwiegenen Zimmer gelandet, das vom milden Schein eines siebenarmigen Leuchters erhellt wurde. Auf einen beiläufigen Wink hin hatte Marcina, wie die bucklige alte Frau hieß, den Wein hereingebracht. Seitdem saßen sie schweigend in ihren Sesseln.
    Jakob brachte nicht den Mut auf, Claudia unverhohlen ins Gesicht zu sehen; er wußte längst, daß die Tote Lydia, Claudias Schwester, war; vielleicht waren sie sogar Zwillinge, aber das würde er bald erfahren. Er hatte Geduld, er brauchte sie nicht zu drängen. Es genügte ihm, Claudia anzusehen und zu hoffen, daß er sie allein mit seiner Anwesenheit ein wenig trösten könnte.
    Warum, so fragte er sich, hatte der Mörder nicht nur eine Hure getötet? Wollte er seiner Botschaft eine weiter gehende Bedeutung geben? Oder kam es ihm auf die Person des alten Orsini an? Oder hatte gar der Zufall seine Hände im Spiel? Nein, zufällig geschah gar nichts; ein Mörder, der bisher seine Opfer stets im Freien hinterlassen und ein bestimmtes Ritual eingehalten hatte, wechselte die Umstände seiner Morde nicht aus einer Laune heraus, sondern handelte mit Bedacht. Aus Sicht des Mörders hatte diese Tat ihren Sinn. Doch welchen?
    Würde Jakob diese Frage beantworten können, wäre er der Entschlüsselung der mörderischen Botschaft einen entscheidenden Schritt näher gekommen. Wem würde der Tod des Kardinals nützen? fragte er sich und bemühte seine Kenntnisse über die

Weitere Kostenlose Bücher