Der Engel Der Kurie
politischen Zustände in Rom. Doch er kam nicht weiter als bis zu der allgemein bekannten Tatsache, daß die Familie Orsini zu den Todfeinden der Colonna gehörte. Angesichts der jüngsten Niederlagen, welche Pompeo in seinem Kampf gegen den Papst erlitten hatte, konnte man gewiß an einen Racheakt gegen treue Mitstreiter des Papstes denken; andererseits ging es Pompeo offensichtlich um die Tiara, und da stellte Aldobrandino Orsini keinerlei Konkurrenz dar. Viel eher hätte es dann Alessandro Farnese, den Kardinal von Guilias Gnaden, treffen müssen.
»Ja, sie ist meine Schwester«, flüsterte Claudia plötzlich vor sich hin und begann im nächsten Moment zu schluchzen. Der Bann war gebrochen, und die Tränen flossen über ihre Wangen. Jakob betete einen Psalm und bat Gott um Trost für die gepeinigte Frau. Schließlich tupfte Claudia sich mit einem Tuch über die Augen.
»Wer tut so etwas?« flüsterte sie.
»Ich weiß es nicht. Doch wenn Ihr mir helft, werden wir die Wahrheit herausfinden.«
Ihr Gesicht nahm einen entschlossenen Ausdruck an. »Fragt, ich werde auf alles antworten.«
»Zu wem habt Ihr Bibiana geschickt?«
»Den Namen habt Ihr von Apollonia, nicht wahr?«
Jakob nickte.
»Raimondo fragte nach einem Engel.«
»Was heißt: Er fragte nach einem Engel? Mußte es ein ganz besonderes Mädchen sein?«
»Wenn sie Engel wollen, die Purpurschnecken, dann müssen die Dirnen jung sein und wie Jungfrauen aussehen – auch wenn sie vielleicht keine mehr sind.« Claudia hielt inne, und als sie Jakob in die Augen sah, errötete sie. »Sie müssen Zutritt zu jedem Eingang gewähren, nicht nur zur Potta; ein Engel verwöhnt den Cazzi, bis der Purpurschnecke hören und sehen vergeht. Und dann wollen die Kurialen oft, daß der gefallene Engel Buße tut und Strafen auf sich nimmt.«
»Was meint Ihr damit? Quälen sie die Mädchen?«
»Es ist eine besondere Gnade, wenn ein Gesalbter des Herrn die Strafe ausspricht und selbst vollzieht; die Sünderin darf sich des vollen Ablasses sicher sein.«
»Dafür zahlen die Herren viel Geld?«
Claudia nickte und fing wieder zu weinen an. »Aber«, flüsterte sie, »ich wußte nicht, wie gemein die Herren sind; und ich hätte nie gedacht, daß einem meiner Engel ein echtes Leid geschehen könnte.«
»Wie viele Mädchen vermißt Ihr?«
»Vier.«
»Wie heißen diese vier?«
»Da ist Bibiana, die mir Apollonia geschickt hat, weil wir für Bischof Raimondo keinen Engel mehr hatten. Angefangen hat alles mit Paola, die am Ende der Tiberinsel angespült wurde; dann folgte Dora, die man im Trümmerfeld unter dem Kapitol fand, und schließlich traf es auch Tullia, die im Park in der Nähe von San Pietro in Montorio, versteckt hinter einem Wachholderbusch, entdeckt wurde. Mit jeder Toten wurde meine Angst größer, aber Fabricio hat meine Schwester beruhigt. Alles halb so schlimm, hat er gesagt, wir müßten uns keine Gedanken machen; Rom sei eben gewalttätig, und jetzt hätte es eben zufällig uns erwischt.«
Jakob rieb sich heftig das Ohrläppchen, so konzentriert war er. »Wer ist Fabricio? Wie spielten sich diese Geschäft genau ab, ich will alles wissen. – Und …« Er machte eine Pause und sah plötzlich Antonia bei Ambrogio Farnese vor sich. Das rote Seidenhemdchen kam ihm in den Sinn und Apollonias merkwürdiges Lachen, als sie sich damit gebrüstet hatte, Antonia selbst unterwiesen zu haben. »Und was ist mit Antonia?«
Claudia schaute ihm traurig in die Augen. »Ich kenne keine Antonia.«
»Du kennst keine Antonia?« fragte Jakob so ungläubig, als hätte Claudia behauptet, auf dem Lateran stehe keine Kirche.
»Ja. Es ist die Wahrheit, glaube mir.«
Er glaubte ihr, und weil er ihr glaubte, gab es ihm einen Stich in der Brust, als hätte ihm ein Folterknecht eine glühende Nadel durch sein Fleisch gejagt. Hatte der Mörder sich wahllos seine Opfer gesucht? War es also Zufall, daß neben Claudias Mädchen auch Antonia getötet worden war? Oder hatte Ambrogio Farnese recht, und der Mord an Antonia war gegen ihn, Jakob selbst, gerichtet?
»Glaubst du mir?« fragte Claudia leise, und dabei beugte sie sich vor und streckte ihre Arme nach seinen Fingern aus, und ehe sie sich versahen, lagen ihre Hände ineinander. Sie blickten sich an, dann nickte Jakob.
»Danke«, flüsterte Claudia.
Die Gedanken schwirrten in Jakobs Kopf wie ein wild gewordener Bienenschwarm. Weil er einerseits eine nie kannte Angst spürte und andererseits sich Claudias betörender Nähe
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