Der Engel Der Kurie
nur zu bewußt wurde, erhob er sich und stammelte, er würde am nächsten Tag wiederkommen.
Es war ein verwirrter Blick, den Claudia ihm durch die Geheimtür in der Tapetenwand nachschickte; doch schon war Jakob auf dem mittlerweile vertrauten Weg verschwunden.
Das Denken Gottes
Luigi trug ein breites Grinsen zur Schau, als sie sich am Weinberg in der Laube der Braschi trafen. Serena ahnte, daß er Neuigkeiten hatte. Sie brannte darauf, alles von ihm zu erfahren, um die in den letzten zwei Wochen entstandene Mutlosigkeit zu überwinden. Nicht einen vernünftigen Anhaltspunkt hatten sie bisher gefunden, wer an Bibianas Tod schuld sein könnte. Was immer sie unternommen hatten – sie waren ins Leere gelaufen oder auf eine Mauer des Schweigens gestoßen. Die ganze Stadt schien sich gegen sie verschworen zu haben; selbst Apollonia sprach nicht mehr über die Morde, als wären sie niemals geschehen. Statt dessen drängte sie Serena, endlich für ihren und Giovannis Unterhalt zu sorgen.
Serena zitterte jeden Tag um das kleine Zimmer, in dem seit kurzem auch eine Dirne aus Sizilien schlief, und sah sich schon bei Cesare oder Luigi unterkriechen. Wenn Apollonia ihre Angst spürte, begann sie mit schnarrender Stimme die Vorteile einer guten Cortigiana aufzuzählen. Sie sei bereit, in Serenas Ausbildung zu investieren, beteuerte die Ruffiana mit einem durchtriebenen Lächeln, und bei den Anlagen, welche sie zeige, bestehe weit mehr Hoffnung auf Erfüllung als bei der immerhin begabten, aber nicht begnadeten Bibiana. Tag für Tag hatte Serena Angst, daß es mit dieser Art der Unterweisung ernst werden könnte.
Sie schlief keinen Abend ein, ohne nicht mit wirklicher Hingabe zu beten und Gott anzuflehen, ihr diese Schmach zu ersparen.
»Ein kluger Mann, der manchmal mit meinem Vater spricht, hat einmal gesagt: Das Gewissen des Menschen ist das Denken Gottes. Ein weiser Satz, findet ihr nicht?« fragte Luigi und blickte in die Runde um sich.
Serena hätte ihm am liebsten eine Ohrfeige gegeben. Was mußte er sie so auf die Folter spannen? Er war zwar der Sohn eines Monsignore und hohen Würdenträgers der Kurie, aber weder wurde er von seinem Vater anerkannt, noch wohnte er angemessen. Also versuchte er auf andere Art, ein wenig Wichtigkeit zu erlangen. Während Serena wenigstens noch ein festes Dach über dem Kopf hatte, wohnte Luigi mit seinen Freunden tatsächlich auf der Straße und suchte sich einmal in diesem Keller und einmal in jenem Schuppen einen Unterschlupf für eine Nacht oder eine Woche. Er hatte es wirklich nicht leicht, und daher zähmte sie ihre Ungeduld und dachte sogar über das Zitat nach.
»Wir haben die Stelle, an der deine Tante gefunden wurde, Tag und Nacht beobachtet«, fuhr Luigi fort, »und gestern abend ist uns ein Mann aufgefallen, der beinahe eine Stunde genau dort stand, zu dem Haselstrauch hinabblickte und ununterbrochen betete. Heißt es nicht, einen Mörder ziehe es stets an den Ort seiner Schandtaten zurück? – Jedenfalls haben wir ihn verfolgt, als er durch die Weinberge schlenderte und dabei laut mit Gott haderte. Immer wieder stellte er die Frage, warum seine Zeichen nicht erkannt würden und warum die Welt nicht aufhöre mit ihrer Schlechtigkeit. Zuerst wurde ich nicht schlau aus seinen Worten, aber als er zu jammern begann, wie schauerlich es sei, diese schlimmen Wunden zuzufügen, und er Gott inständig bat, ihm nicht noch einmal so eine Prüfung aufzuerlegen, da dämmerte es mir, daß wir den Hurenmörder verfolgten. – Sofort bedeutete ich Massimiliano, er solle sich weiter zurückziehen; auf keinen Fall durfte uns der Verdächtige entdecken; ich selbst achtete auch auf sicheren Abstand. Die Rede des Mannes wurde immer weinerlicher, und zum Schluß brach er in Schluchzen aus, warf sich auf die Erde und rief: ›Großer Gott, ich erfülle deinen Willen.‹«
Luigi schwieg für einen Moment, er sah mit einiger Befriedigung, daß alle wie gebannt an seinen Lippen hingen. »Nach einiger Zeit erhob er sich, strich über sein Gewand, das von einfacher Art war, und ging zielstrebig zur Porta Angelica, von dort hinauf zum vatikanischen Palast und verschwand in einem Nebengebäude, das eine Schreibstube des Datars beherbergt. Ich schickte Massimiliano auf die Rückseite des Hauses, weil ich wußte, daß es dort einen zweiten Ausgang gibt, und hielt mich selbst bei den Marmorblöcken auf, die für Sankt Peter bereitstehen. Wirklich, ich stand mir die Beine in den Bauch; es wurde
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