Der Engel Der Kurie
ich dich nicht schützen. Geh, und berate dich mit meinem Vetter. Er ist übrigens«, er lächelte geheimnisvoll, »sehr empfänglich für Gleichnisse am Schachbrett.« Dann hielt er Jakob die Hand zum Kuß hin und wies ihm den Weg durch eine zweite Tür, die hinter einem Schrank verborgen lag. »Mein Diener hilft dir, den Palast ungesehen zu verlassen.«
Jakob konnte nicht umhin, Ambrogio Farnese aufzusuchen, und während er die Via Lungara entlanglief, überlegte er, was er dem alten Fuchs, zu dem er kein Vertrauen mehr fassen konnte, erzählen sollte. Er spürte, wie ihm die ganze Geschichte über den Kopf wuchs, und die Freude, die er am Vormittag noch über die Verhaftung Enneas empfunden hatte, wich einem beklemmenden Gefühl. Angst, es war Angst, die ihn lähmte. Er spürte, daß er in Ränkespiele verstrickt worden war, die er nicht überblickte. Gleichgültig, mit wem er sprach, er würde sich in einem Geflecht von Lügen wiederfinden, und jeder würde versuchen, ihn für sich zu gewinnen und für seine eigenen Ziele einzuspannen. Jakob fühlte sich hilflos. Warum lachte Farnese über Garilliati und nahm andererseits Frangipane sehr ernst, wenn es um Trippa ging? Warum ging der Kanzler bedenkenlos auf die Vermutung ein, hinter den Morden könne mehr stecken als das kranke Herz eines Moralisten?
Weshalb wandelte sich Farneses Verärgerung über Jakobs Vorgehen in Zustimmung, nachdem er an Trippas Zuverlässigkeit zweifelte? Was mußte Jakob von der Aussage halten, der Kanzler könne ihn nicht vor Casale schützen? Beinahe schien es, als würde die Verhaftung Enneas weit mehr Fragen aufwerfen, als sie beantwortete. Jakob sah sich unlösbaren Rätseln gegenüber und wünschte sich, je näher er Trastevere kam, weit weg von Rom. Wenn er wenigstens wüßte, welche Rolle Fabricio Casale wirklich spielte. Doch der Vizedatar blieb so geheimnisvoll wie eh und je.
Ambrogio Farnese empfing ihn mit ausgesuchter Höflichkeit und beglückwünschte, kaum hatte Jakob seinen Bericht abgestattet, seinen Gast zu dem überwältigenden Erfolg, wobei er den Eindruck erweckte, dieses Lob durch und durch ernst zu meinen – zumindest im Hinblick auf Frangipane.
»Du bist dem schlauen Kerl aus Fiuggi auf die Schliche gekommen«, bemerkte Ambrogio. »Jetzt brauchen wir nur noch Beweise.«
»Beweise für was?« fragte Jakob verdattert.
»Daß er seinen Kaplan angestiftet hat«, erwiderte Ambrogio, eine Spur ungehalten. »Das ist es doch, woran wir interessiert sind: Wir packen Frangipane, dann kriegen wir auch Casale. Du lieferst uns die beiden ans Messer.«
Jakob sah sein Gegenüber verblüfft an und wußte zunächst nicht, was er antworten sollte; dann kamen ihm seine eigenen Überlegungen wieder in den Sinn, warum er die Anzeige beim Governatore erstattet hatte: Die Farnese brauchten ein glaubwürdiges Motiv und eine belastende Zeugenaussage, dann könnten sie Casale in Haft nehmen und verhören. Dessen hartnäckiges Leugnen würde ihm nichts helfen, denn sie würden ihn so lange foltern, bis er gestand, was seine Peiniger wissen wollten.
Hier also schließt sich der Kreis, dachte Jakob, aber er stellte sich begriffsstutzig und fragte: »Wie meint Ihr das?«
»Du mußt beim Governatore eine rasche Untersuchung beantragen und dafür sorgen, daß der Kaplan bald peinlich befragt wird. Dann stellst du ihm geschickt deine Fragen. Solltest du bei der Formulierung Hilfe benötigen, wende dich vertrauensvoll an mich.«
Jakob nickte. »Ich weiß Eure Unterstützung zu schätzen; ich werde alles daran setzen, meine Fragen so treffend anzubringen, daß die Wahrheit ans Licht kommt.«
»Ich wußte, daß wir uns verstehen«, erwiderte Ambrogio. Er legte Jakob die Hand auf die Schulter und führte ihn zu dem Schachtisch. »Ich überlasse dir die weißen Steine«, sagte er gönnerhaft und klatschte in die Hände. Ein Diener trat ein und trug Rotwein auf, der in einer edlen Kristallkaraffe funkelte. Sie erhoben die Kristallkelche, prosteten sich zu und versanken in ihrem Spiel.
Jakob kämpfte mit seinem König darum, den einzig verbliebenen Bauern auf dem Brett gegen Ambrogios König auf die Grundlinie zu manövrieren, und nach einigen taktischen Finessen erzwang er freies Feld und verschaffte sich einen Vorteil.
Ambrogio räusperte sich verlegen. »Wir verfolgen den Niedergang der vornehmen Geschlechter Roms seit langem«, klagte er mit belegter Stimme. »Beinahe fünfzehn Jahre ist es her, daß Marcantonio Altieri schrieb: ›Rom,
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