Der Engel Der Kurie
Traurigkeit, doch wirkte ihr Gesicht straffer, die Stirn nahezu ohne Falten. Die Haare trug sie streng nach hinten gekämmt und in einem Knoten gebändigt. Das einfache schwarze Kleid reichte bis an den Hals. Auf ihrer Brust baumelte ein schweres Silberkreuz. Sonst hatte sie keinen Schmuck angelegt. Trotzdem kam sie ihm schöner denn je vor, und er mußte sich zwingen, sie nicht unaufhörlich anzuschauen. Sie hatte die Hände in den Schoß gelegt und fing an zu erzählen:
»Das Leben einer ehrbaren Dame war schon der Traum meiner Mutter, als sie von San Gimignano nach Siena ging und auf Empfehlung unseres Pfarrers in den Haushalt des Bischofs eintrat. Rasch wurde ihr klar, welcher Art ihre Dienste sein sollten, doch gab sie sich dem Werben ihres Herren nicht ohne weiteres hin. Sie war eine schöne Frau und wußte sich zu benehmen. Zudem hatte sie bereits bei unserem Pfarrer Latein gelernt, konnte lesen und schreiben und verstand es, auf der Laute zu spielen. Sie gereichte dem Hof des Bischofs zur Zierde, und er wußte es zu schätzen. Aus edelsten Seidenstoffen ließ er ihr ein Kleid schneidern und schenkte ihr eine Kette aus kostbaren Perlen, daß die anderen Damen bei Hofe vor Neid erblaßten. Da gestattete sie ihrem Herrn den ersten Kuß und versprach mehr, falls er die anderen Damen von seinem Hof verwies. Er schwor ihr Treue und ließ zwei weitere Kleider anfertigen, wies ihr eine Zofe zu und las ihr bald jeden Wunsch von den Augen ab. Als sie schwanger wurde, gab er ein großes Fest und verbarg seine Enttäuschung, daß ihm nicht ein Sohn, sondern ich, ein Mädchen, geboren wurde.
Zwei Jahre später begleitete er ihre Schwangerschaft erneut mit Freude; doch als ihm die Hebamme Lydia in die Arme legen wollte, drehte er sich um und ließ meine Mutter und ihr Kind allein. Ein Jahr danach besaß er eine neue Favoritin, und als ein weiteres Jahr vergangen war, befahl er meiner Mutter, sein Haus zu verlassen. Wir durften in einem Stadthaus nahe der Piazza wohnen, und meine Mutter erhielt eine monatliche Rente von sieben Scudi ausbezahlt. Wir lebten zurückgezogen und friedlich, bis ich dreizehn Jahre alt wurde. Da starb der Bischof. Seine Familie stellte die Geldzahlungen ein und forderte uns auf, das Haus zu verlassen. Meine Mutter verkaufte ihre Perlenkette an das Bankhaus der Chigi und eines ihrer Kleider an eine römische Kurtisane, die sich wegen irgendwelcher politischer Geschäfte eines Farnese-Kardinals in Siena aufhielt. Diese Cortigiana war es auch, die meiner Mutter empfahl, nach Rom zu gehen.
Auf Vermittlung des alten Agostino Chigi fanden wir eine kleine Villa in Trastevere. Chigi lud meine Mutter auf eines seiner Feste ein, und im Nu war sie von römischen Adligen umringt. Auch hier blieb sie wählerisch und wahrte den Anschein der ehrbaren Dame, ehe sie sich zwei Männern hingab. Zunächst zeigten sie sich sehr freigebig, doch als sie bemerkten, daß meine Mutter ihnen von Herzen zugetan war, flossen die Geldgeschenke immer spärlicher. Die Haushaltsführung war teuer; meine Mutter achtete darauf, stets drei Bedienstete um sich zu haben, damit sie sich angemessen präsentieren konnte. Ihre beiden Herren machten ihr Kummer, und sie mußte andere Freier erhören, um ihren Unterhalt zu sichern. Doch man sah ihr an, daß sie litt; sie verlor ihren Liebreiz und ihre Verehrer. Als ich vierzehn war, verkaufte sie ihr zweites schönes Kleid und sich selbst für wenige Giuli an immer einfachere Männer. Dabei entging ihr nicht, daß die Edlen Roms anfingen, sich nach mir umzudrehen.
Eines Tages begann meine Mutter, mit mir über meine Zukunft zu reden, und sie malte mir das Dasein einer berühmten Kurtisane in den schillernden Farben aus. Imperia, die jenseits des Tiber in einem Palazzo prachtvoll hofhielt, war ein Vorbild für sie. Du kannst werden wie sie, sagte meine Mutter, und ich glaubte es. Das Gewerbe, fuhr sie fort, sei nichts für Dumme, und nicht von ungefähr hätte sie uns Schwestern in all den Fertigkeiten unterrichtet, über die sie selbst verfügte. Sie begann mich und auch meine Schwester auf das vorzubereiten, was von einem Mann erwartet werden würde; und je gelehriger wir uns stellten, um so zurückhaltender wurde sie selbst mit ihren Freiern und ließ letztlich niemanden mehr zu sich ein. Sie kaufte Möbel und Gemälde für unsere Villa, bedeckte die Böden mit Teppichen, die sie fahrenden Händlern abschwatzte, und füllte zwei offene Schränke mit Büchern, die sie der Familie eines
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