Der Engel Der Kurie
einst die Königin des Weltalls, ist heute so herabgekommen, daß den Römern ihre eigene Stadt wie eine öde und düstere Höhle erscheinen muß. Vom Viertel Monti nach Cavallo, nach Trevi und zum Viertel der Conti fehlen die Ceroni, Novelle, Paparoni und Petrucci. Alle diese Familien, durch Vermögen, Zahl und Altertum einst so herrlich und berühmt, sehen wir heute entweder ganz oder halb zerstört. Was den Rest der unseligen Stadt betrifft, wie viele Sitze, die einst zur Ergötzung der Edelleute gegründet waren, sind da heute nicht so geschwunden, daß man kaum noch die Spur der Halle entdeckt, wo sie einst empfangen wurden. Doch was reden wir von den Palästen, es genügt ein Blick in die Straßenviertel: denn jammernd muß man sagen, daß der größte Teil ihrer Bewohner, daß so viele ehrenhafte Männer nebst ihren Familien daraus entschwunden sind. Wer sollte nicht mit tiefem Schmerz die einst glorreiche Piazza Colonna betrachten, der ehemals von Vater, Kindern und Enkeln der Buffalini belebt war, nicht zu reden von den Cancellieri, Treofani, Valerani und zahllosen anderen achtbaren Geschlechtern der Nachbarschaft. Heute fehlen sie dort fast gänzlich, und an ihrer Stelle findet man nur einen Zusammenfluß verworfener und niedriger Leute.‹ So schrieb Altieri, und nichts davon ist heute weniger wahr. Sieh hin, wer die Macht hat in dieser Stadt: Es ist ein Chigi, der aus Siena stammt, es sind die Medici mit ihren Wurzeln in Florenz, selbst die Doria aus Genua und die Sforza aus Mailand haben hier mehr zu bestimmen als die ehrwürdigen Orsini, denen man sogar einen Kardinal meuchelt. Und hier, auf diesen Feldern, ist es ein bayerischer Dominikaner, der den Knecht adelt und den Adel knechtet. – Ich bitte dich, Jakobus, lasse dies hier«, und er deutete mit zitternder Hand auf das Brett, »kein Gleichnis sein für die Stadt meiner Väter.« Dann warf er seinen König um.
Jedem steht sein Tag bevor
Wann immer er konnte, floh Jakob aus den belebten Straßen, setzte sich auf eine umgestürzte Marmorsäule auf der Anhöhe des Palatin und blickte über die Stadt hinweg. Wie Tannen in Zeiten höchster Not die größten Zapfen austrieben, so schienen die Menschen Roms im Angesicht der drohenden kaiserlichen Armee noch einmal alle Lust und Sinnlichkeit ausleben zu wollen, als könnten sie so ihre Welt erhalten, die in Wahrheit vollkommen zerrüttet war und unter dem Zustrom der Flüchtlinge aus dem Süden litt, wo der Vizekönig Stadt um Stadt eroberte und daher dem Papst gegen Ende Januar demütigende Friedensbedingungen anbieten konnte. Mehr denn je bewahrheitete sich das Wort eines Botschafters von Kaiser Karl, der vor wenigen Jahren an seinen Herren geschrieben hatte: »Hier ist alles auf Habsucht und Lüge gegründet; die Hölle selbst kann nicht so viel Haß und so viele Teufel bergen.«
Friedlicher Morgennebel lag über den Kaiserforen und dem gebrochenen Gemäuer des Kolosseums. Jakob mochte den Blick nicht wenden. Wie die Gladiatoren, die einst im Namen Christi in der Arena gegen wilde Tiere gekämpft hatten, würde auch er seine ganze Kraft brauchen. Die entscheidende Befragung Enneas stand bevor. Beinahe seit fünf Wochen befand sich Frangipanes Sekretär nun in Untersuchungshaft und wurde von einem Richter des Governatore täglich verhört, doch so hartnäckig wie ein Stein, den keine Träne erweicht, leugnete der Verdächtige alles und begegnete den Vorwürfen so gefühllos, daß ein Unwissender geneigt sein konnte, seine Unschuld anzunehmen. Auch Jakob wären Zweifel gekommen, wäre da nicht jener Bericht Serenas von der Aussprache zwischen Frangipane und seinem Kaplan, und so bestand er auf der territio realis, denn die Folter schien ihm in der Tat das letzte Mittel, Ennea die Wahrheit zu entlocken.
Unter ihm im zarten Februarnebel lag der Titusbogen und gemahnte Jakob an die Macht der Zeit; der Bogen aus weißem Marmor, der einzig zur Verherrlichung eines nichtigen Sieges erbaut worden war, war als Triumphbogen sinnlos geworden, aber als ein Mahnmal der Macht bekam er einen neuen Sinn. Jakob spürte die Kraft der Geschichte, die diesem Ort innewohnte, und die Aufforderung, Gerechtigkeit walten zu lassen und sich der Wahrheit zu verpflichten; wo, wenn nicht in der Ewigen Stadt, wäre der geeignete Ort dazu?
Mit allen erdenklichen Finten stemmte sich Papst Clemens gegen die drohende Niederlage in jenem Titanenkampf, der die beiden Schwerter der Christenheit gegeneinanderführte. Frundsberg stand
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