Der Engel Esmeralda
ist sinnlos.«
»Ich muss weg.«
»Ich rufe nachher an. Ich nenne ihnen unsere Namen. Dann sehen wir, an welcher Stelle wir stehen. Wir können morgen fliegen. Morgen gibt es drei Flüge.«
Sie schlang ein großes Handtuch um sich und setzte sich auf die Treppe zur Terrasse. Ganz eindeutig wollte sie etwas sagen. Ich stand im brusthohen Wasser.
Dies sei schon der vierte Tag, an dem sie versuche, von der Insel wegzukommen. In den letzten vierundzwanzig Stunden sei sie allmählich immer ängstlicher geworden. Durch die Strapazen am Flughafen, sagte sie, fühle sie sich hilflos und lächerlich und verloren. Die hätten so eine komische Art zu sprechen hier. Ihre dahinschwindenden Geldbestände. Die Taxifahrten durch die Hügel. Der Regen, die Hitze. Und die Schärfe, die dunkle Schärfe, die eingewirkte Stimmung oder Tonlage, die ominöse Logik dieses Ortes. Es sei alles wie im Traum, einem Albtraum von Isolation und Zwang. Sie müsse unbedingtvon der Insel weg. Wir würden diese Stunden zusammen haben. Diese Episode, wie sie es nannte. Aber dann müsse ich ihr helfen, wegzukommen.
Sie sah feierlich aus in ihrem weißen Handtuch. Ich hüpfte ein paarmal im Wasser auf und ab. Dann stieg ich aus dem Pool und ging nach drinnen, um die Airline anzurufen. Ein Mann sagte, er hätte unsere Namen nirgendwo. Ich sagte ihm, dass wir gültige Tickets hätten, und erklärte einige unserer Schwierigkeiten. Er sagte, wir sollten um sechs Uhr früh erscheinen. Dann wüssten wir alle mehr.
Wir aßen in der Suite zu Abend. Mit einem Bleistift skizzierte ich ihr Gesicht auf der Rückseite einer Leinenserviette. Den Nachtisch nahmen wir mit nach draußen in den Garten. Ich zeichnete sie noch einmal, diesmal die ganze Gestalt, auf einem Blatt Hotelbriefpapier. Den Ozean. Den Schwung der Küste.
»Du malst also?«
»Ich schreibe.«
»Aha, ein Schriftsteller?«
»Was riecht hier so fantastisch? Ist das Jasmin? Wenn ich bloß wüsste, wie das heißt.«
»Sehr angenehm, so ein Garten.«
»Abgesehen vom Wegkommen, einfach von der Insel wegzukommen, musst du irgendwann irgendwo sein?«
»Ich muss Barbados-London fliegen. Es gibt Leute, die mich da treffen wollen.«
»Leute, die warten.«
»Ja.«
»In einem englischen Garten.«
»In zwei Räumen mit schreienden Babys.«
»Du lächelst. Sie lächelt.«
»Dasist ein Riesending.«
»Ein heimliches Lächeln hat sie da. Tief und privat. Aber doch einnehmend.«
»Das hat seit Jahren niemand gesehen. Es tut mir im Gesicht weh.«
»Christa Landauer.«
Ein Mann kam mit Brandy. Christa saß in einem alten Morgenmantel da. Die Nacht war klar.
»Du hast den Wunsch, nicht aufzufallen«, sagte ich.
»Woran merkst du das?«
»Du willst undefiniert sein. Das merke ich an verschiedenen Dingen. Kleidung, Gang, Haltung. Am meisten an deinem Gesicht. Vor nicht allzu langer Zeit hattest du ein anderes Gesicht. Da bin ich mir sicher.«
»Was wissen wir noch voneinander?«
»Was wir sehen können.«
»Berühren. Was wir berühren können.«
»Sprich deutsch«, sagte ich.
»Wieso?«
»Ich höre es gern.«
»Kannst du die Sprache?«
»Ich möchte den Klang hören. Ich mag den Klang. Voller Heavy Metal. Ich kann Hallo und Auf Wiedersehen sagen.«
»Sonst nichts?«
»Sprich natürlich. Sag irgendwas. Red einfach.«
»Wir werden im Bett deutsch sein.«
Sie saß in einem Sessel, ohne Morgenmantel, ein Bein über der Lehne, und hielt ihr Brandyglas und die Zigarette in einer Hand.
»Hörst du?«
»Wen oder was?«
»Hörgenau hin.«
»Die Wellen«, sagte sie.
Eine Weile später gingen wir hinein. Ich beobachtete, wie sie zum Bett schritt. Sie schob ein Kissen weg und legte sich auf den Rücken, den Blick zur Decke, einen Arm ließ sie seitlich herunterhängen. Mit dem Zeigefinger aschte sie auf den Boden. Rauch wanderte ihren Arm empor. Frauen in ungezwungenen Stellungen, Frauen, die sich räkeln, haben schon immer massives Entzücken bei mir erregt, Frauen in lässiger, ruhender Pose, und ich wusste, dass dieses Bild von Christa mit der Zeit zu einer wiederkehrenden Erinnerung werden würde, ihre geöffneten, unnahbaren Augen, die Tiefen der Stille in ihrem Gesicht, der abgetragene Morgenmantel, das zerwühlte Bett, ihre nachdenkliche, grüblerische Ausstrahlung voll Einsamkeit und finsterer Ferne, der Rauch, der an ihrem Arm hochstieg, sich daran festzuklammern schien.
Ich rief die Rezeption an. Der Mann sagte, er würde jemanden um halb fünf mit dem Frühstück vorbeischicken,
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