Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Engel Esmeralda

Der Engel Esmeralda

Titel: Der Engel Esmeralda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
Vom Netzwerk:
und Rupert wäre dann um fünf mit seinem Taxi vor der Tür.
    Plötzlich kam eine Windbö und rüttelte an den Fensterläden und blies durchs ganze Zimmer, Papiere segelten umher, die Vorhänge bauschten sich. Christa drückte ihre Zigarette aus und löschte das Licht.
    Als ich viel später die Augen aufschlug, war die Schreibtischlampe an, und sie saß in ihrem Morgenmantel auf einem Sessel und las in irgendwelchen Papieren. Ich wollte nach meiner Armbanduhr greifen. Tür und Fensterläden waren geschlossen, aber ich konnte den Regen hören.
    »Wie spät ist es?«
    »Schlaf weiter.«
    »Habenwir den Weckruf verpasst?«
    »Es ist noch Zeit. Sie werden am Tor klingeln. Noch eine Stunde.«
    »Ich will dich bei mir.«
    »Ich muss noch fertig machen«, sagte sie. »Schlaf weiter.«
    Ich schaffte es, mich auf einen Ellbogen zu stützen.
    »Was liest du gerade?«
    »Arbeit. Sehr öde. Willst du nicht wissen. Wir fragen nicht, du und ich. Du schläfst halb, sonst würdest du gar nicht fragen.«
    »Kommst du bald ins Bett?«
    »Ja, bald.«
    »Wenn ich schlafe, weckst du mich?«
    »Ja.«
    »Schiebst du die Tür ein bisschen auf, damit wir die Luft spüren?«
    »Ja«, sagte sie. »Natürlich. Alles, was du willst.«
    Ich streckte mich aus und schloss die Augen. Ich dachte an die Sandinseln da draußen, zwei Tage Segeln, und die Brandung, die über die Riffe sprühte, und dass die Unterseiten der Möwen vom hellen Wasser aus grün wirkten.
    Und wieder die breitblättrigen Bäume und das Dickicht der Senken, der kurvenreiche Anstieg durch Dunst und Regen. Irgendetwas am Licht dieses Morgens verlieh der Landschaft eine subtile Färbung. Die Abstände wirkten nicht so plastisch und lebendig. Es gab nur das eine Tiefgrün mit trügerischen Schattierungen. Wir waren jetzt auf dem letzten Stück, ungefähr eine Dreiviertelstunde unterwegs, und ich dachte, es könnte sich immer noch ändern, ein jäher Wetterumschwung könnte das Land immer noch verwandeln, Textur und Dimensionhervorbringen, Aufbäumen grünen Lichtes, derlei Wabern und Strahlen und die Fastbewusstheit, die man stets auf überwuchertem Gelände feststellt. Christa rieb sich schläfrig den Nacken. Ich spähte die ganze Zeit nach draußen und nach oben. Im Vordergrund liefen Frauen in verwaschenen Röcken zu zweit und dritt am Straßenrand entlang, Frauen mit markanten Gesichtszügen, die von Zeit zu Zeit im feuchten Schimmer auftauchten, einige mit Körben auf dem Kopf, sie lugten ins Auto, die Schultern nach hinten gezogen, die nackten Arme glänzend.
    »Diesmal kommen wir weg«, sagte Christa.
    »Du meinst, du hast Glück.«
    »Wir müssen nicht mal warten. Erster Flug.«
    »Was, wenn es nicht so kommt?«
    »Das darfst du nicht mal flüstern.«
    »Kommst du mit mir zurück?«
    »Ich höre gar nicht zu.«
    »Es wäre verrückt, dazubleiben«, sagte ich. »Sieben oder acht Stunden warten. Wir erfahren unseren Status. Ich kläre alles mit dem Mann. Rupert wird auf uns warten. Und uns ins Hotel zurückbringen. Dann haben wir noch etwas Zeit miteinander. Und dann fahren wir wieder hin. Wir kriegen den Zweiuhrflug oder den Fünfer, je nach unserem Status. Wichtig ist jetzt nur, unseren Status zu klären.«
    Rupert hörte Radio, seine Schultern lehnten sich in die knappe Kurve.
    »Macht dir das so einen Spaß«, fragte sie, »hin und her?«
    »Ich lass mich gern treiben.«
    »Das ist keine Antwort.«
    »Doch, ich lass mich wirklich gern treiben. Das versuche ich bei jeder Gelegenheit.«
    »Dusolltest zurückfahren. Dich sechs Wochen lang treiben lassen.«
    »Nicht allein«, sagte ich.
    Sie hatte dasselbe graue Kleid an wie vor zwei Tagen auf der Straße vor dem Terminal, als ich mich umdrehte und sie höflich an der Seite stehen sah, das Gesicht verzerrt im gleißenden Licht.
    »Wie lange noch? Das hier kommt mir bekannt vor.«
    »Minuten«, sagte ich.
    »Hier sind wir mal fast von der Straße abgekommen, auf der ersten Fahrt, da hat der Kühler vorn gequalmt. Da hätte ich schon wissen müssen, dass es bis zum Ende eine Katastrophe sein würde.«
    »Rupert würde es nie so weit kommen lassen, oder, Rupert?«
    »Zugucken, wie das ganze Auto in Rauch aufgeht«, sagte sie.
    Ich warf ihr einen Blick zu, und wir lächelten beide. Rupert klopfte im Takt der Musik aufs Lenkrad. Wir kamen an ein paar Häusern vorbei und erklommen die letzte Steigung.
    Ich nahm Christas Ticket und bat sie, im Taxi zu warten. Auch das Gepäck sollte drinbleiben, bis wir sicher waren, an Bord gehen

Weitere Kostenlose Bücher