Der Engelmacher
denn das erwarte man schließlich von ihm. Das sei vielleicht ein Schritt zurück, aber damit könne er die Kritik von Solar und Grath widerlegen und außerdem – und dies betonte er besonders – alle anderen Ungläubigen zur Einkehr bewegen. Und er könne damit eine Brücke schlagen zu der Verkündigung seiner eigentlichen Neuigkeit, dass er nämlich Menschen klone. Sonst träfe das die ganze Menschheit wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel.
Die Ungläubigen zur Einkehr bewegen. Eine Brücke schlagen. Verkündigung. Die ganze Menschheit. Ein Blitzschlag aus heiterem Himmel.
Genau diese Worte hatte Rex Cremer verwendet, und sie hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Victor war ganz Ohr gewesen, und der Ärztliche Direktor hatte ihm vorgeschlagen, die menschlichen Embryos auf den Fotos als Mäuseembryos auszugeben.
»Irgendetwas muss ich den anderen vorzeigen können«, hatte er erklärt. »Das ist die einzige Möglichkeit, sie noch zu überzeugen.«
»Wovon?«, hatte Victor gefragt.
»Davon, dass du Recht hast.«
Mit diesen Worten hatte er bewusst wieder eine empfindliche Saite bei Victor angeschlagen, obwohl er inständig hoffte, dass Victor tatsächlich Recht hatte. Er glaubte ihm, was er über den Stand seiner Forschungen gesagt hatte, aber er fürchtete zumindest im Moment auch, dass das Experiment am Ende nicht gut ausgehen würde. Heimlich hoffte er noch, dass die Embryos sich doch nicht in der Gebärmutter eingenistet hatten und später noch von dem Körper der Frau abgestoßen würden. Das hätte ihm zumindest einen Gewissenskonflikt erspart. Aber das war nicht seine dringlichste Sorge.
»Und wenn sie wissen wollen, wo die Embryos sind?«, hatte Victor gefragt.
»Dann antworten wir, dass sie abgestoßen wurden. Ich kann ihnen noch ein paar missgebildete Embryos aus meinen eigenen Versuchen vorzeigen.«
»Wir? Du sagst immer, ›wir‹ antworten …«
»Ja, Victor, wir. Du und ich. Wir müssen unsere Antworten aufeinander abstimmen. Später, wenn die Zeit reif ist, werden wir die Wahrheit sagen. Und dann werden sie uns auch verstehen. Jetzt müssen wir erst einmal Zeit gewinnen. Wir müssen die Welt auf das Kommende vorbereiten.«
Victor hatte genickt, und Rex hatte das Gefühl gehabt, ihn überzeugt zu haben. Seine Vermutung, dass Victor sich mit den richtigen Worten in eine bestimmte Richtung lenken ließe, hatte also gestimmt. Für Rhetorik war Victor nicht unempfindlich. Das Wort galt ihm mehr als die Wissenschaft. Oder das Wort galt ihm als die höchste Wissenschaft selbst. Er war bislang nicht ganz dahintergekommen, was von beidem zutraf, aber es war auch nicht so wichtig. Beide Annahmen erklärten jedenfalls, warum Victor sich nicht um Forschungsberichte scherte. Darin zählten schließlich nur die Fakten, nicht die Worte, und Bombast war dort sowieso unerwünscht. Das Gerüst zählte, nicht die äußere Hülle.
Hinterher hatte Rex mit einer gezielten Frage noch einmal die Probe aufs Exempel gemacht. Er war so sicher gewesen, den anderen durchschaut zu haben, dass er gemeint hatte, die Antwort bereits zu kennen.
Er hatte Victor gefragt, warum er ausgerechnet sich selbst für sein Klon-Experiment ausgewählt hatte, und er war sich sicher gewesen, dass Victor wieder auf Gott verweisen würde, der den Menschen nach Seinem Bilde geschaffen hatte.
Doch Victor hatte anders reagiert. Er hatte auf seinen Mund gezeigt. Auf die halb unter seinem Schnurrbart verborgene Narbe über seiner Oberlippe.
»Darum«, hatte er gesagt.
Keine leeren Worthülsen. Keine Rhetorik.
»Wieso?«, hatte Rex mit dünner Stimme gefragt.
»Das wird der Beweis sein. Wie bei den Mäusen mit der Farbe des Fells.«
Rex hatte sofort begriffen, was er meinte. Plötzlich ging es wieder um Wissenschaft, um die Grundlage der Wissenschaft. Um den Beweis. Worum auch sonst?
»Du willst also sagen«, setzte er zögernd an, »wenn das Kind bei der Geburt auch …« – linkisch deutete er auf seine eigene Oberlippe – »… dann wäre körperlich bewiesen, dass das Kind ein Klon von dir ist.«
Victor hatte genickt.
»Aber das kann doch auch von Vater zu Sohn weitergegeben werden«, hatte Rex bemerkt, ohne zu wissen, wie genau seine Bemerkung ins Schwarze traf. »Ganz normal. Es ist doch eine genetische Anomalie, oder?«
Wieder hatte Victor genickt und die Antwort offenbar schon parat gehabt.
»Jede Spalte ist einmalig«, hatte er in belehrendem Tonfall gesagt. »Die genaue Stelle, die Form, ihre Tiefe und Breite. Wenn ich
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