Der Engelmacher
dem ersten Teilungsvorgang zu sehen war – sie waren auf einen Tag später datiert als die vorigen Aufnahmen. Noch immer sagte er nichts, sondern fuhr mit einer vierten und fünften Reihe von Aufnahmen fort, die jeweils das nächste Stadium im Wachstumsprozess eines Embryos dokumentierten.
Bislang war Rex wenig beeindruckt. Solche Fotos hatte er selbst auch schon gemacht. Auch die nächste Serie mit Fotos von Embryonen mit acht ausgebildeten Zellen, die also das Stadium erreicht hatten, in dem sie in die Gebärmutter eingebracht würden, boten ihm keinerlei Überraschung.
»Was willst du …«, setzte er an.
»Warte«, sagte Victor und legte weitere Reihen von jeweils fünf Fotos auf den Tisch, wobei er mit dem Daumen jedes einzelne kräftig auf die Tischplatte drückte, als wollte er ihren Wert hervorheben. Rex sah nun, wie bei jeder neuen Reihe der Embryo weiter wuchs. Von acht auf sechzehn und auf zweiunddreißig Zellen. Das war seines Wissens bislang noch niemandem auf künstliche Weise gelungen, ohne dass dabei Missbildungen entstanden waren. Bei der nächsten Serie war die Anzahl der Zellen nicht mehr auf einen Blick zu erkennen, aber es mussten vierundsechzig sein, und als Victor die letzte Reihe Fotos ausbreitete und schließlich jeden Quadratzentimeter des Tisches bedeckt hatte, wusste der Ärztliche Direktor, dass der Embryo auf den Fotos auf eine Größe von einhundertachtundzwanzig Zellen angewachsen war.
»Wie hast du das hinbekommen?«, fragte er aufgeregt. »Und warum hast du sie so weit heranwachsen lassen?«
»Wenn der Embryo auf natürliche Weise durch den Eileiter in die Gebärmutter wandert, dann hat er zu diesem Zeitpunkt bereits ungefähr die Größe erreicht, die hier auf dem Foto zu sehen ist. Nach fünf bis sechs Tagen also.«
Er tippte mit dem Zeigefinger auf ein Foto aus der letzten Serie und fuhr fort: »Die Chance, dass ein künstlich gezeugter Embryo sich in der Gebärmutter einnistet, ist also viel größer, wenn er in einem deutlich späteren Stadium eingebracht wird, als man das bisher immer getan hat.«
»Aber bisher war es unmöglich, Embryos so weit heranwachsen zu lassen.«
»Manchmal ist das, was unmöglich erscheint, lediglich schwierig«, reagierte Victor fast schon automatisch.
»Aber wie hast du das gemacht, Victor?«
»Es kommt nur auf die richtigen Mischungsverhältnisse an. Es ist alles nur ein chemischer Prozess. Ich schreibe es schon noch auf.«
»Und zwar möglichst bald«, sagte Rex, der allmählich wieder Hoffnung bekam. Er nahm eines der letzten Fotos in die Hand und las das Datum ab: 10. Februar 1984. Er zählte kurz an den Fingern ab und sagte: »Das ist fast drei Wochen her. Die Mäuse können also jeden Augenblick zur Welt kommen.«
Victor schüttelte den Kopf.
»Ist es schiefgegangen?«, fragte er. »Sind sie doch abgestoßen worden?«
Victor schüttelte erneut den Kopf.
»Was denn dann, Victor?«, rief Rex voller Ungeduld.
»Es dauert ungefähr neun Monate«, sagte Victor, während er starr vor sich hin blickte.
Ungefähr neun Monate. Die Worte hallten in Cremers Kopf wider. Neun Monate. Er schluckte hörbar und hoffte, dass der Gedanke, der ihm gerade gekommen war, nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatte. Beklommen richtete er den Blick wieder auf das Foto, das er in der Hand hielt, auch wenn er wusste, dass es ihm seine Frage nicht beantworten würde. Embryos von Säugetieren sahen in diesem Stadium alle gleich aus.
»Sind es …«, fing er an, aber er bekam die Worte nicht heraus.
»Menschliche Embryos«, bestätigte Victor.
Rex schirmte seine Augen mit der Hand ab. Ein Schlag ins Gesicht hätte ihn nicht härter getroffen.
Wenn sich in dieser ganzen Angelegenheit überhaupt jemand des Betrugs schuldig gemacht hat, wie immer wieder behauptet worden ist, dann war es Rex Cremer, nachdem er vernommen hatte, dass Victor Hoppe damit beschäftigt war, einen Menschen zu klonen. Er war sich dessen bewusst, aber er meinte, keine Wahl zu haben. Er sah keine andere Möglichkeit mehr, die Dinge noch in Ordnung zu bringen. Vielleicht war sein Entschluss kurzsichtig oder von Eigeninteresse bestimmt, vielleicht war es auch nur ein panischer Entschluss, aber jedenfalls war es sein eigener. Victor hatte ihn zwar zunächst vor vollendete Tatsachen gestellt, aber das weitere Szenarium entwarf er selber und überredete Victor, sich daran zu halten. Dabei ging er taktisch vor. Zunächst sagte er, dass Victor schnell erwachsene Mäuse klonen müsse,
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