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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Brijs
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Kommission fragte daraufhin, ob er das noch immer glaube. »Nein«, sagte er. Zweimal nacheinander.
     
    Die Kommission war bereits etwa einen Monat beschäftigt, als Cremer zu Hause einen Anruf von Victor erhielt, der seither tatsächlich der Universität ferngeblieben war und wieder in Bonn wohnte. Es überraschte ihn nicht, dass Victor anrief; vermutlich wollte er wissen, wie weit die Kommission mit ihrer Untersuchung war.
    »Hallo Victor, lang nichts mehr gehört«, sagte er in neutralem Tonfall. Er blieb reserviert. Nach und nach war er inzwischen zu der Überzeugung gelangt, dass Victor all die Jahre über zu viel Freiraum bekommen und diesen missbraucht hatte.
    Der andere fiel mit der Tür ins Haus: »Ich brauche deine Hilfe.« Cremer sah sich auf Anhieb in seinen Vermutungen bestätigt.
    »Victor, die Kommission hat ihre Arbeit noch nicht abgeschlossen. Ich kann dazu nichts sagen. Ich weiß auch nichts darüber. Diese Leute machen ihre Arbeit, und …«
    »Es geht nicht um die Kommission«, antwortete Victor bestimmt. »Die interessiert mich nicht.«
    Rex war überrascht, aber auch sogleich wieder auf der Hut. Er wollte sich nicht erneut von irgendetwas mitreißen lassen, was Victor ihm erzählte.
    »Worum geht es denn dann?«, fragte er in möglichst sachlichem Tonfall.
    »Um die Embryos«, entgegnete Victor.
    Rex seufzte hörbar.
    »Was ist denn mit den Embryos?«, fragte er, aber verbesserte sich selbst rasch: »Welche Embryos?«
    »Die Klone. Meine Klone.«
    »Victor, ich weiß nicht, ob ich darüber …«
    »Rex, ich brauche deine Hilfe!« Ratlosigkeit schwang in der Stimme mit.
    Rex erschrak. So hatte er Victor all die Jahre über nie erlebt. Victor war immer so selbstbewusst gewesen, er hatte ihn kein einziges Mal um Rat gefragt, geschweige denn um Hilfe gebeten.
    »Was ist los?« Sein Interesse war erwacht, aber er blieb misstrauisch.
    »Es sind vier … es werden vier …«, brachte Victor so schnell hervor, dass er noch schwerer zu verstehen war als sonst.
    »Vier, verstehst du, das sind zu viele! Ich wollte nicht …«
    »Victor, immer mit der Ruhe!«, rief Rex aus und wunderte sich selbst über den Ton, den er anschlug. Er holte tief Luft.
    »Ich gebe mir Mühe zu verstehen, was du meinst«, sagte er dann.
    Dabei verstand er es nur allzu gut, aber er wusste nicht, was er davon halten und vor allem, wie viel er davon glauben sollte. Als Victor ihm sechs Wochen zuvor die Fotos der fünf Embryos gezeigt hatte, hatte er gesagt, er habe sie alle fünf bei der Frau eingebracht, in der Hoffnung, dass sich zumindest einer davon in der Gebärmutter einnisten würde. Rex hatte diese Anzahl sowieso schon ziemlich hoch gefunden – standardmäßig arbeitete man mit zwei bis vier Embryos, zumindest bei der In-Vitro-Fertilisation –, und jetzt war anscheinend tatsächlich nur ein einziger Embryo abgestoßen worden, und alle vier anderen hatten sich eingenistet und waren inzwischen also zu Föten herangewachsen. Wenn das stimmte und weiterhin alles normal verlief, dann würden schließlich Vierlinge zur Welt kommen. Vier Klone auf einmal. Wenn es stimmte. Aber er glaubte es nicht. Und vor allem wollte er nichts damit zu tun haben.
    »Ich weiß nicht, wo dein Problem ist, Victor«, sagte er abwehrend. »Vier von den fünf sind also durchgekommen. Das ist doch ein Erfolg.«
    »Das sind zu viele.«
    »Das hättest du doch vorher wissen können. Oder hast du dich selbst unterschätzt?«
    Er hatte das mit spöttischem Unterton gesagt und fragte sich, ob Victor es wohl gemerkt hatte.
    »Ich wollte Gewissheit haben«, sagte Victor.
    »Die hast du doch jetzt.«
    »Aber es sind vier. Ich weiß nicht, ob sie das will. Ob sie sie alle vier …«
    »Dann nimm du doch ein paar.«
    »Das geht nicht. Ich weiß nicht, wie …«
    »Du musst jetzt aber schon die Verantwortung übernehmen«, sagte Rex in leicht väterlichem Tonfall. »Das gehört dazu. Wer Kinder in die Welt setzt, muss auch für sie sorgen.«
    Amüsiert wartete er auf eine Antwort. Die blieb aus.
    »Victor?«
    Aber die Verbindung war bereits unterbrochen.
     
    Nach zwei Monaten hatte die Kommission ihre Untersuchungen beendet. In dem Bericht, der am 30. Mai 1984 dem Rektor vorgelegt wurde, war von Betrug, Täuschung oder erfundenen Fakten keine Rede. Dafür hatten die unabhängigen Wissenschaftler keine eindeutigen Beweise gefunden. Aber das bedeutete keineswegs, dass das Experiment von Victor Hoppe als gelungen betrachtet und entsprechend die Resultate als

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