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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Brijs
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die drei Söhne des Doktors allerorten das Gesprächsthema Nummer eins. Dann wurde sie schlagartig von einem anderen Drama verdrängt, das die Gemüter noch mehr erhitzte.
    »Hier, bei diesem Kreuzchen, mitten auf der Napoleonstraße, einen Steinwurf vom Haus des Doktors entfernt«, erklärte Jacques Meekers noch Jahre später im »Terminus« und tippte dabei immer mit dem Finger auf die Generalstabskarte.
    »Da geschah das zweite Unglück. Keine zwei Wochen nach dem Tod von Charlotte Maenhout. Der kleine Gunther Weber, der Taube. Am 11. November 1988. Tag des Waffenstillstands von 1918. Sogar noch ein Feiertag.«
    Gunther Weber spielte an jenem Tag zusammen mit fünf anderen Jungs eine Partie Fußball auf dem Dorfplatz. Es war ein milder Herbsttag, und schon vom frühen Morgen an fuhren Autos und Busse voll belgischer Touristen, die wegen des Feiertags frei hatten, durch das Dorf zum Dreiländereck. An der schmalen Brücke, die zur Route des Trois Bornes führte, war durch den vielen Betrieb schon bald ein Stau entstanden. Gegen Mittag reichten dessen letzte Ausläufer bis hinter das Haus von Doktor Hoppe. Die Blicke der vielen Menschen, deren Wagen nach und nach den Stau verlängerten, stachelten die Jungs auf dem Dorfplatz gewöhnlich besonders an. Fritz Meekers, dreizehn Jahre alt und knapp zwei Meter lang, hoffte zum Beispiel noch immer, dass eines Tages ein Fußballtrainer aus einem der Autos aussteigen würde, um ihm einen Vertrag bei einer Spitzenmannschaft anzubieten. Ein Traum, den durchaus auch die anderen Jungen träumten, der ihnen jedoch vom langen Meekers meist ohne langes Fackeln kaputt gemacht wurde.
    »Du bei einer Spitzenmannschaft, Gunther? Du hörst ja nicht mal die Trillerpfeife vom Schiedsrichter!« Eine Bemerkung, die ihm nach jenem fatalen Tag für den Rest seines Lebens Leid tun sollte, denn gerade wegen der anhaltenden Spötteleien führte Gunther Weber sich oft am meisten auf, weil er von seinen Kameraden als einer der ihren angesehen werden wollte.
    Wie meist stand Gunther auch diesmal im Tor, weil er von dort aus den ganzen Platz überblicken konnte. Julius Rosenboom hatte den Ball gerade ins Aus geschossen, und Gunther war losgelaufen, um ihn wiederzuholen. Als er sah, wie viele Augen aus den vor der Brücke im Stau stehenden Autos auf ihn gerichtet waren, richtete er sich mit von Stolz geschwellter Brust auf. Die Nase hoch erhoben, rannte er mit dem Ball unterm Arm zum Tor zurück. Er platzierte den Ball auf dem Boden, rollte ihn noch ein paar Mal nach links und rechts, jeweils nur minimal, aber mit großem Getue, drehte ihn leicht auf der Stelle und beschloss zuletzt mit einem auffälligen Nicken, dass der Ball nun endlich genau so lag, wie er ihn haben wollte.
    »Gunther, mach nich’ so’n Theater!«, rief der lange Meekers. »Inzwischen haben dich ja wohl alle gesehen!«
    Gerade wegen dieser Worte baute Gunther seine Einmannvorstellung wahrscheinlich noch weiter aus. Erst tippte er sich mit dem Finger ans Ohr zum Zeichen, dass er nichts gehört hatte. Dann schirmte er die Augen mit der Hand ab und fixierte einen Punkt irgendwo am Horizont, wohin er den Ball gleich befördern wollte. Mit ausgestrecktem Arm winkte er seinen Kameraden.
    »Geh-ma-zurück«, rief er ihnen zu, »ich-wer-die-ball-ganzeit-aushaun!«
    Und während die anderen Jungs mehr Abstand nahmen, ging auch er mit großen Schritten rückwärts, um Anlauf zu nehmen. Schaut mal da, der Junge, was macht der denn da?, hörte er die Menschen in seinem Rücken denken, und er stellte sich vor, wie einer den anderen anstieß, bis bald alle zu ihm herübersahen. Er trat noch ein paar Schritte zurück und schlenkerte dabei übertrieben mit den Schultern. Das wird ein Schuss! Der Kerl wird den Ball hoch in den Himmel schießen! Schau nur, was für einen Anlauf der nimmt!
    Er war etwa zwanzig Meter vom Ball entfernt, als er sah, wie seine Kameraden ihm zuwinkten und zuriefen. Aber er stand zu weit weg, um ihnen noch etwas von den Lippen ablesen zu können. Er konzentrierte sich ganz auf den Ball, ging noch ein Stück weiter zurück und lehnte sich dann träge nach vorne, wie ein Athlet in Erwartung des Startschusses. In Gedanken hörte er, wie er angefeuert wurde: Gunther! Gunther!
    Mann, was für ein Schuss das werden würde! Noch ein letzter Schritt zurück, und dann …
    Gunther Weber wurde überfahren, als der Linienbus von 12:59 Uhr um die Kurve bog, um die Haltestelle Dorfplatz anzufahren. Das Kind war auf der Stelle tot,

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