Der Engelmacher
Verbotenem erwischt worden war, es aber nicht zugeben wollte, daran erinnerte er sie. Dann stürzte der Doktor auf sie zu. Reflexartig wich sie noch ein Stück zurück. Erst jetzt merkte sie, dass sie direkt an der Treppe stand. Aber da war es schon zu spät.
»Herr Doktor? Mein Auto springt nicht an. Könnten Sie …«
Der Turmwärter war noch einmal ins Haus des Doktors gekommen und blieb plötzlich wie angewurzelt stehen. »Mein Gott!«, rief er aus.
Doktor Hoppe kniete neben Frau Maenhout, die am Fuß der Treppe auf dem Boden lag. Er drückte mit Zeige- und Mittelfinger auf ihren Hals, wartete kurz und sah dann auf.
»Gott gibt und Gott nimmt«, sagte er.
Otto Reisiger schüttelte den Kopf und bekreuzigte sich langsam.
Er hatte es nicht gewollt. Victor Hoppe hatte es nicht gewollt. Er hatte ihr lediglich das Schwert wiedergeben wollen. Mehr nicht. Aber dann hatte sie gewisse Dinge gesagt. Gewisse Dinge behauptet. Und etwas war in ihn gefahren, das stärker war als er selbst. Das Böse war in ihn gefahren. Das wusste er. Und das Böse musste bekämpft werden. Auch das wusste er.
II
In wissenschaftlichen Nachschlagewerken und Studien wird die Karriere von Victor Hoppe meist etwa folgendermaßen zusammengefasst:
Der deutsche Embryologe Victor Hoppe promovierte in den 60er Jahren an der Universität Aachen mit einer herausragenden Dissertation über die Regulation des Zellzyklus. Er arbeitete als Fruchtbarkeitsarzt in Bonn und überraschte 1979 die Fachwelt mit einigen jungen Mäusen, die von je zwei Männchen beziehungsweise zwei Weibchen abstammten. Er nahm einen Ruf an die Universität Aachen an und hatte im Dezember 1980 zur allgemeinen Verwunderung bereits Mäuse geklont. Damit war er der erste Wissenschaftler, der dieses Verfahren erfolgreich bei einem Säugetier angewandt hatte. Drei Jahre später wurde er von Kollegen des Betrugs beschuldigt. Seine Versuche hatten sich auf Grundlage seiner Berichte nicht wiederholen lassen, und Doktor Hoppe selbst weigerte sich, seine Methode zu demonstrieren. Nachdem eine unabhängige Kommission eine Untersuchung durchgeführt hatte, legte er im Juni 1984 seine Arbeit an der Universität nieder und zog sich aus der Wissenschaft zurück. Verschiedene Kollegen bedauerten den Vorfall im Nachhinein und meinten, mit Doktor Hoppe sei der Fachwelt ein großes Talent verloren gegangen. Andere taten seine Arbeit als amateurhafte Stümperei ab.
So kann man es noch heute verschiedentlich nachlesen. Bis auf die falsch angegebene Nationalität stimmt alles an diesem Bericht. Aber er ist nur die halbe Wahrheit. Wenn man genauer hinsieht, kommt eine ganz andere Geschichte ans Licht.
Am Dienstag, den 16. Dezember 1980, nachmittags um halb fünf bekam der Chefredakteur der wissenschaftlichen Zeitschrift Cell in London einen Anruf von Doktor Victor Hoppe. Der Name kam dem Redakteur bekannt vor, aber er konnte ihn nicht gleich einordnen. In Englisch mit deutschem Akzent erkundigte sich der Doktor nach dem Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe von Cell. Aufgeregt fügte er hinzu, er habe bedeutende Neuigkeiten. Seine Stimme klang, als hielte er ein Taschentuch über die Sprechmuschel.
Der Chefredakteur gab ihm die Auskunft, die Deadline für die Januarausgabe sei bereits seit einer Woche verstrichen, er erwarte jeden Moment die Druckfahnen. Für die Februarnummer könnten allerdings noch Artikel eingereicht werden.
So lange wollte Doktor Hoppe nicht warten. »It’s too important«, sagte er.
Mit einem gewissen Argwohn fragte der Chefredakteur, worum es denn gehe. Am anderen Ende der Leitung war ein Zögern zu verspüren. Dann sagte der Anrufer mit großer Selbstsicherheit in der Stimme: »Es geht um Klonen. Ich habe Mäuse geklont.«
Der Chefredakteur war sofort hellwach. Wenn das stimmte, war es tatsächlich eine große Neuigkeit. Die Mitteilung rief ihm auch wieder in Erinnerung, wer Victor Hoppe war: der deutsche Biologe, der vor ein paar Jahren in Science einen bemerkenswerten Artikel über die Manipulation von Mäuseembryos veröffentlicht hatte.
»Das wäre in der Tat eine große Neuigkeit«, sagte der Chefredakteur.
»Ich möchte den Bericht über meine Versuche so bald wie möglich publizieren, verstehen Sie?«
»Aber selbstverständlich verstehe ich das«, antwortete der Chefredakteur in nunmehr sehr entgegenkommender Art. »Vielleicht lässt sich ja bei der aktuellen Ausgabe doch noch etwas machen. Können Sie mir den Artikel heute noch
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